laut.de-Kritik

Sanft schimmernder Country, tränenreich und intensiv.

Review von

"Big Time" zieht seine Energie aus der Liebe, der Freiheit, dem Verlust und der Trauer. Das Album entstand aus der Mitte des Lebens, aus den Phasen, die uns verändern, die uns im Rückblick neu definieren. In den letzten drei Jahren erkannte Angel Olsen ihr Queer-Sein. Sie verliebte sich, durchlebte eine Trennung und nun eine neue Liebe, die sie mit ihrer neue*n Partner*in im Titelsong besingt. Sie outete sich vor ihren Eltern und verlor ihren Vater nur drei Tage später. Wenig später musste ihre Mutter ins Hospiz, Angel Olsen begleitete auch sie in den Tod. All diese Gefühle spiegelt "Big Time" wider. Kein Wunder, dass Olsen so kurze Zeit nach "All Mirrors" wie eine um viele Jahre gealterte Künstlerin klingt. Als hätte sie einfach drei Alben und die mit ihnen einhergehende Entwicklung übersprungen.

Da, wo vor nicht all zu langer Zeit noch schwindelerregender Art-Pop regierte, finden sich nun von einem sanften Schimmer umgebener Country, Americana und Folk-Pop. Tammy Wynette, Emmylou Harris, Patsy Cline, Dusty Springfield oder Roy Orbison flirren wie eine Fata Morgana auf einer heißen Straße durch ihre neuen Songs. Ohne dass Olsen dabei ihre eigene Identität aufgibt.

Bereits die ersten Töne von "All The Good Times" ziehen tief in ihre neue Welt. Ebenso selbstsicher wie sanft blickt sie zur Pedal-Steel auf eine gescheiterte Beziehung zurück. Immer in dem bittersüßen Bewusstsein, wie viel sie am Ende aus dieser doch mitnahm: "Thanks for the free ride / And all of the good times." Ein zerbrechlicher Song, in dessen Mitte der Ausbruch der bekannten Theatralik der Sängerin allein schon wegen des Kontrasts noch mehr als auf ihren frühen Alben glänzt.

Das mit ihrer neue*n Partner*in geschriebene Titelstück baut auf "All The Good Times" auf, schließt sich diesem in Text und Atmosphäre an. "Guess I had to be losing to get here on time", singt Olsen in bester Country-Tradition. Voller Selbstvertrauen und Nashville-Eleganz zelebriert sie ihre neue Freiheit. Ein ebenso wehmütiger wie glückseliger Song, wie aus den schönsten Stunden des Lebens destilliert. Wahrscheinlich, weil er genau das ist. Gemeinsam mit dem Opener: ein perfekter Start.

"All The Flowers" bleibt ein zarter Traum. Eine Erinnerung an Gitarren, Streicher und Klavier, außerhalb jeglicher Zeit platziert. Ein zerbrechliches Lied, in dem die von Echo durchflutete Stimme der US-Amerikanerin ungreifbar erscheint. Ohne Refrain auskommend, bleibt nur eine kleine, elysische Melodie. Wunderschön.

Einzig "This Is How It Works" und "Chasing The Sun" entstanden nach dem Tod ihrer Eltern, was sich alleine schon in der deutlich düstereren Stimmung ausdrückt. Nun übernimmt der Alltag der Trauer und lässt ihre Stimme gerade im ersten Stück immer wieder brechen. "Staring out at the walls / Is there somebody that I can call? / Someone who knows where I am / Someone who knows how it's been", singt Olsen. Nach einem letzten "Tell me something good" verstummt sie ganz, überlässt die letzten zwei Minuten ihrer Band.

Mit "Chasing The Sun" versucht sie mit Klavier, überschwänglichen Streichern und 1950er-Romantik aus dem Klangkonzept des Albums zu entfliehen. Immer schneller jagt sie der Sonne hinterher, um dem Schmerz zu entkommen, der sich am Ende doch als so viel schneller erweist. "Chasing the sun for you / Spending the day / Driving away the blues." Mal haucht sie, mal schreit sie dabei fast.

Ein tränenreiches Ende für ein intensives Album, das so frei begann und das Angel Olsens so vielschichtigen Gefühle und ihre "Big Time" der letzten Jahre aufgreift und in intensive Tracks bündelt. So verfügt es über eine große emotionale Bandbreite. Ein sich heranschleichendes Drama, das uns mit dem Wissen zurück lässt, dass sie eine Person gefunden hat, die sie auffängt.

Trackliste

  1. 1. All The Good Times
  2. 2. Big Time
  3. 3. Dream Thing
  4. 4. Ghost On
  5. 5. All The Flowers
  6. 6. Right Now
  7. 7. This Is How It Works
  8. 8. Go Home
  9. 9. Through The Fires
  10. 10. Chasing The Sun

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