laut.de-Kritik
Nach dem Suff ist vor dem Suff: Alaaf und Prost!
Review von Jasmin LützDas süffigste Konzept-Album heißt "Alkohol", kommt natürlich aus Kölle und erscheint pünktlich zum rheinischen Frohsinn. Da bleibt kein Ohr und kein Hirn trocken. Die Karnevals-Saison beginnt am 11.11. um 11:11 Uhr mit viel Kölsch, Trömmelchen und der Vorstellung des neuen Dreigestirns.
Zu dritt waren Angelika Express von 2002 bis 2005 tatsächlich mal, aber mit der Schunkelkultur von De Höhner, Brings oder Kasalla haben sie nichts zu tun. Die Band lebt zwar in Köln und hängt auch gerne am einen oder anderen Tresen herum, aber musikalisch stammt sie eher aus dem guten alten Punkrock.
Melodien, Party, Pop, Krach und Rock'n'Roll: Das sind Angelika Express, und Fronttrinker Robert Drakogiannakis ist schon seit 2002 mit Gesang und Gitarre am Start. Wer in Köln lebt, kommt an der Truppe nicht vorbei.
Mit Robert und seiner feuchtfröhlichen Formation aus Dani (Bass, Stylophon), Annick (Gitarre, Gesang), Valentin und Don "Caddy" (Schlagzeug) begeben wir uns nun auf eine kurzweilige Sauftour: 15 Songs, die rumpeln, poltern und nach dem Erwachen ganz schön wehtun. Spaß und Drama liegen nah beieinander, und "Alkohol" weckt das Biest in dir. Oder wie hieß es so schön in Herbert Grönemeyers Hit? "Alkohol ist dein Sanitäter in der Not, Alkohol ist dein Fallschirm und dein Rettungsboot. Alkohol ist das Drahtseil, auf dem du stehst. Alkohol ist das Schiff, mit dem du untergehst."
Der Einstiegssong "Menschen Brauchen Alkohol" geht gleich ins Blut und hat das Zeug zur offiziellen Kneipen-Hymne. Der Refrain lässt sich leicht mitsingen: "Menschen sind durch Alkohol innen voll und außen hohl." Das ist immer gut, wenn die Synapsen sterben und man nicht mehr so konzentrationsfähig ist, und passt in jede Jahreszeit.
Für eingängige Melodien und knackige Textzeilen sind Angelika Express ohnehin bekannt. Damals grölte man "Teenage Fanclub Girl" auf dem Tresen des zweiten Wohnzimmers Stereo Wonderland, auch "Geh Doch Nach Berlin" gehörte zu den Lieblings-Hits im kölschen Indie-Klüngel. Viele hielten sich auch an die Worte und zogen in die hippe Weltstadt. Der wahre Kölner findet allerdings immer wieder zurück nach Hause.
Dann heißt es "Kurze Oder Longdrinks"? Hier hat man die Wahl, oder auch nicht. Die Letzten werden die Ersten sein, die über der Kloschüssel hängen. "Bitter Wie Der Tod" bringt es knackig auf den Punkt. Heute sitzt man lieber länger an einem Gin & Tonic, statt drei Jägermeister wegzukippen, wenn man eh schon knülle ist. Das hat jeder schon durchgemacht.
Wenn man in Köln geboren wurde, dann wird man quasi mit der Alk-Flasche groß gezogen, denn der Karnevals-Klüngel ist ohne Rausch kaum zu ertragen. Viele bleiben am Kölschfass kleben, so auch "Phil Collins", einer von wenigen Promis, die ihre Abhängigkeit zugeben und öffentlich zur Suff-Beichte gehen. Zum Glück ist er jetzt trocken. Und ja, er kommt auch nicht aus dem Rheinland, aber dennoch tanzt man dort zu seinen Pophits. Allerdings, laut Angelika Express, nur im Vollrausch.
Der Hardcore-Trinker findet sogar nach einer langen Nacht morgens den Weg zur Arbeit. Und zum Glück gibt es dann noch den "Flachmann Im Büro". Die Party geht weiter. Wie soll man den langweiligen 9-to-5-Job auch sonst überstehen? Das können Musiker sowieso nicht nachvollziehen. Die reimen dann lieber hohl, äh, kühl: "Nein, ich möchte keinen Piccolo, ich hab noch 'nen Flachmann im Büro."
Frei nach dem Motto "Nach dem Suff ist vor dem Suff" wissen Angelika Express, wie man ihre Fans bei Laune hält. Ob mit Alkohol oder als Kulturförderer. 2009 wurde das Album "Goldener Trash" per Angelika-Aktie von Fans finanziert. 50 Euro musste man zahlen und bekam dafür die fertige Platte, einen Platz auf der Gästeliste, 80 Prozent Gewinnbeteiligung und einen tollen Tanz-Hit mit der Single "Was Wollt Ihr Alle" obendrauf. Tolle Idee, die insgesamt 500 Aktien waren bereits nach wenigen Tagen vergeben. Natürlich wurde darauf auch ordentlich angestoßen: Demnach gab es bereits damals die launige Sauf-Hymne "Du Trinkst Zuviel".
Hitpotenzial steckt in "Alkohol" ebenso. Das geht auch mal ohne Text und mit viel Schrammel-Gitarre ("Erika Fahrbier"). Idealerweise im Duett "Morgen Wird Alles Gut", so versichern Robert und Annick in "Du bist kaputt", und für den kürzesten Hit reichen sogar elf Sekunden ("Elf Kölsch In 11 Sekunden").
Ein gutes Tempo legen die Angelikas da hin. In gerade 34 Minuten poltern sie durch die Lieblingskneipen. Vom Stereo Wonderland übers Six Pack bis spät morgens um sieben Uhr im Roxy. Aua. Nur solch durchzechte Nächten können Titel wie "Hang Over Annelore" hervorbringen. Nach dem ganzen Gesöff ist man völlig fertig und meldet sich zur nächsten Wellnesskur an. Aber vorher bitte noch einen Pogo-Tanz zu "Das Biest Ist Frei".
Mit dem akustisch-elektronischen Rausschmeißer "Zur Theke Am Ende Des Regenbogens" schaltet das Hirn dann komplett ab. Man lallt leise den Barmann an und verlässt wankend die Spelunke seines Vertrauens. Der Kater am Morgen wird sich erst nach ein paar Stunden im vergifteten Fleisch festkrallen, und du denkst dir nur: "Warum?"
Wer nicht weiß, wie das mit dem Trinken geht, der wird spätestens nach diesem hochprozentigen Einblick ins Leben eines traurigen Kneipengängers abhängig. Es gibt immer eine Gelegenheit, um zum Glas zu greifen. Liebeskummer, Donald Trump, Karneval, Weltschmerz.
Zum Glück wächst man aus dem Sauftour-Alter allmählich raus. Irgendwann gibt es nur noch ein Glas guten Whiskey oder mal 'ne Grapefrucht-Schorle. Existiert eigentlich schon eine kölsche Version von "Für Immer Punk"? Nein? Dann wirds Zeit: "Für immer Kölsch, möchte ich sein, für immer Kölsch. Willst du wirklich immer Berliner bleiben ...?" Oder so ähnlich. In diesem Sinne: Alaaf und Prost!
2 Kommentare mit 2 Antworten
Zum Glück muss man sich dieses Album nicht mehr schöntrinken.
Und manche Leute erzählen immer noch das Märchen von den Schallplatten, die beim öfteren Saufen 'wachsen'.
Ähm... Nee 1/5