laut.de-Kritik

Soul-Nuggets zwischen Mississippi-Schlamm und unausstehlichem Regen.

Review von

Soulmusik der Siebziger ist ein unübersichtliches Feld voller verborgener Schätze. Von den wenigsten erfahren wir hier in Europa noch im Nachhinein, und wenn, dann über nachfolgende Musiker. So war etwa ein Song der Soul-Prinzessin von Memphis, Ann Peebles, der Glücksbringer des Wu-Tang Clans und eine entscheidende Sample-Quelle des Clan-Debüts: "Trouble, Heartaches And Sadness". Die zugehörige "Straight From The Heart"-LP bietet Sucht-Potenzial. Sie wirkt lebhaft, dreckig, scharf, heiß, unterhaltsam, stringent, kratzbürstig, kämpferisch, und sie hat aneckende Harmonien, was paradox scheint. Ecken, Dellen, Unreinheiten lassen sie 'Memphis-alike' grooven.

Ann Peebles hat nicht nur beim Wu-Tang Clan SPuren hinterlassen. Vor allem ragen die Brückenschläge in den Hip Hop hinein (aber nicht nur). "I Can't Stand The Rain", eines der berühmten Regenlieder dieses Planeten, legt den Grundstein für "The Rain" bei Missy Elliott. Auch "I Feel Like Breaking Up Somebody's Home Tonight" auf der "Straight From The Heart"-LP, das von Peebles damaligem Drummer stammt, erzielt reichhaltigen Nachhall. Um nur mal die Covers von solchen Kolleg:innen aufzuzählen, die in unseren Breitengraden bekannt sind: Bette Midler, B.B. King, Etta James, Bernard Allison, Rory Block, Kenny Wayne Shepherd, Danielle Nicole, Gov't Mule, Joe Bonamassa und Lisa Bassenge entschieden sich für neue Interpretationen. In ihrer Ursprungsfassung rockt die damals 24-jährige Ann in einem Spektrum aus dumpfer Kick-Drum und andererseits schriller Trompete und Sopransaxophon dermaßen satt, dass doch so viel Energie überspringt wie bei einer Live-Session. Dieses Glühende entfaltet seine Anziehungskraft.

Die messerscharf phrasierende und klar artikulierende Sängerin mit ihrer Alt-Stimme und atmosphärischen Bläsersätzen, harmonischen, aber auch das Ohr kitzelnden Background-Untermalungen, spielt ihre Stärken im zügigen "Slipped, Tripped And Fell In Love" voll aus. Autor war übrigens in diesem Fall George Jackson, fleißiger Hit-Lieferant in Soul-Kreisen Mitte der Sechziger bis Mitte der Siebziger; er begegnete uns in dieser Meilenstein-Rubrik schon zwischen den Zeilen zum Beispiel als Komponist für Doris Dukes "I'm A Loser". Eigene und fremde Nummern behandelten Peebles und ihr Team mit der gleichen Kreativität und Sorgfalt im Aufbereiten für zehn oder mehr Instrumente. Es sind das schöne Arrangement und wie die einzelnen Spuren und die Stimme ineinander spielen, das "Trouble, Heartaches And Sadness" und so vieles weitere im Werk von Peebles auszeichnet: Die Liebe zum Wohlklang und das Verständnis dafür, was wir als Harmonie empfinden - das Herstellen und Auflösen von Spannung. Dazu braucht es in einem Ensemble auch Gegenstimmen, Reibung. Die perfekt aufeinander eingespielte Band, im Grunde eine Kombi aus zwei Ensembles, Hi Rhythm Section und Memphis Horns, bildet genau das richtige Konglomerat mit Anns natürlicher Stimme und Gesangstechnik.

Sie entfaltet in ihrer Laufbahn keine Ambitionen als Aktivistin, die sich etwa für die Black Power-Bewegung an die Front bewegt hätte, sondern fokussierte sich auf die Rolle einer Unterhaltungs-Prinzessin, dies aber auf einem Niveau, das in Sachen Präzision und Wohlklang keinen Wunsch offen ließ. Anziehung, Verführung, Zärtlichkeit, Romantik, Geborgenheit, Abhängigkeit, Vertrauen und Kontrolle im Privaten: Das sind die Themen der ursprünglich aus Missouri stammenden Sängerin im Musik-Mekka Memphis. Oder um es so auf den Punkt zu bringen wie in "99 Pounds": "25 Pounds of pure cane sugar in each and every kiss", um so viel Leidenschaft geht es.

Lieder wie "I Feel Like Breaking Up Somebody's Home Tonight", das entschlossene "How Strong Is A Woman" oder das vorwärts schiebende "I Take What I Want" profitieren dabei von gesalzenen Bläser-Riffs, die ungefähr so getrötet sind wie manche Leute Tequila trinken, mit einer Prise Salz auf der Hand und einem Biss in die Zitrone. Stellenweise jagen sie ordentlich Pfeffer in die Lied-Rezepturen, verströmen wuchtig das Charisma der Stücke. Die schiefen gegenströmenden Töne in "I Take What I Want" gehören hier dazu, um das "little bad girl" mit der nötigen Kratzigkeit und Rauheit zu vertonen, das über sich sagt "I take what I want - maybe I want you." So läuft echte Soulmusik. Nehme man die psychedelische und eigenwillige Bassline in "Somebody's On Your Case" samt Smash-Gesang, dann findet man hier den Prototyp des speziellen Southern Soul-Stils jener Ära. Hypnotische Percussion weist den Weg. Auch die Black Crowes begeisterten sich dafür und inszenierten das nach.

Peebles spielt in ihren Aufnahmen meist die Rolle der Managerin oder Moderatorin zwischen den Linien und Kreisen, welche die einzelnen Instrumente-Fraktionen ziehen. Damit hält sie sich mit ihrer Präsenz deutlich zurück, gemessen an einer Aretha Franklin oder Minnie Riperton, deren Gesang der Kern der Lieder war, mit Piano oder E-Piano als deren Umhüllung. Bei Ann spielen die Tasteninstrumente hingegen eine beiläufige Rolle, und der Gesangsvortrag stellt lediglich eine Komponente in einem akustischen Gemälde wie "What You Laid On Me" dar, wo die smarte Coolness noch wichtiger als die Emotionen erscheint. Auf dem Folge-Album "I Can't Stand The Rain" wird sie phasenweise gefühliger, entfaltet das Kennenlernen eines Partners als zarte Pflanze, die man hegen und streicheln muss, trägt schillernde Metaphern vor ("like a jojo-string I'm tied to you - right or wrong") und macht die Vibration der Liebe spürbar. Vor allem aber greift sie die Sache mit dem Regen am Fenster auf. Bereits "I Feel Like Breaking Up Somebody's Home Tonight" pflegt dieses Motiv, und auf "I Can't Stand The Rain" behandeln es dann der Titelsong sowie auch "Do I Need You".

Die Idee zum feuchten Hit sei, so die offizielle Anekdote, Anfang 1973 plötzlich da gewesen, als Ann und ihr privater und beruflicher Partner Don auf dem Weg zu einem Konzertbesuch (als Gäste) in einen Platzregen geraten seien. Es fiel Anns Ausspruch: "I can't stand the rain!" - also: "Ich kann den Regen nicht ausstehen!" Die beiden seien dann statt zu dem Konzert nach Hause zum Songschreiben zurück gefahren, weil Don gleich eine zündende Idee gehabt habe. Bereits am nächsten Morgen habe man das Lied im Studio aufgenommen und brandneue E-Drums zur rhythmischen Darstellung der Regentropfen verwendet. Diese Story findet sich so in einem Artikel im englischen Guardian, für den das Pärchen sich anlässlich der Album-Neupressungen im Jahr 2014 befragen ließ. Trotzdem spielte diese Idee bereits vorher eine Rolle. "Lying around home alone / On a rainy night like this (...) Every raindrop I hear against my window pane / beats so loud and clear: Words that spell your name." - Sowohl die Melodie im bereits 1972 veröffentlichten "I Feel Like Breaking Up Somebody's Home Tonight" als auch dieses Bild "raindrop against my window pane" weisen einige Ähnlichkeit mit dem Folge-Hit auf (in dem es dann heißt "I can't stand the rain, against my window / Bringing back sweet memories. Hey, window pane, do you remember?")

Für das gleichnamige Album "I Can't Stand The Rain" als Meilenstein-Empfehlung hätte natürlich der Titelsong als sogenannter Signature Hit gesprochen. Mit 27 Minuten ist die Platte fast so kurz wie ihre 26 Minuten-Vorgängerin "Straight From The Heart", und weil das ja beides jeweils ein Klacks ist, seien sie beide empfohlen. Kurze, aber effektive Tunes sorgen für die jeweilige Spieldauer. Die "Straight From The Heart"-LP wirkt reicher an Überraschungen, bleibt mehr haften, klingt unterm Strich 'lauter', schleift den Schlamm des Mississippi mit sich.

Auf "I Can't Stand The Rain" floss dann das meiste direkt aus Peebles eigener Feder, was in unseren Zeiten, da wir selbstbewusste Frauen im Musikbiz suchen, die mehr als nur nett trällern, von wichtiger Symbolkraft ist. Beides sind toll angefertigte Platten auf spielerisch, gesanglich und kompositorisch hohem Niveau, und beide verbindet der Regen, der gegen das Fenster pladdert. Mehr als um die eine einzige Platte, der man als Connoisseur nachjagen muss, geht es ums wertvolle Gesamtwerk dieser Soul-Lady, die sich in einer Reihe zwischen Detroits Nordlichtern Diana Ross und Martha Reeves, Curtis Mayfields Disco-Duettpartnerin Linda Clifford und der New Yorker "California Soul"-Expertin Marlena Shaw einsortiert.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Slipped, Tripped And Fell In Love
  2. 2. Trouble, Heartaches And Sadness
  3. 3. What You Laid On Me
  4. 4. How Strong Is A Woman
  5. 5. Somebody's On Your Case
  6. 6. I Feel Like Breaking Up Somebody's Home Tonight
  7. 7. I've Been There Before
  8. 8. I Pity The Fool
  9. 9. 99 Pounds
  10. 10. I Take What I Want

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