laut.de-Kritik
Ein versponnenes Soundgemälde zwischen Pop und Elektronik.
Review von Toni HennigWie hart das Musikbusiness sein kann, erlebte Anna Aaron am eigenen Leib. 2011 legte Cécile Meyer, so ihr bürgerlicher Name, mit "Dogs In Spirit" ein folkiges Debüt hin, für das man sie mit dem Basler Pop-Preis prämierte. Für "Neuro" (2014) nahm sie - unter dem Druck ihrer Plattenfirma Two Gentlemen, die mit ihr an den Erfolg Sophie Hungers anknüpfen wollte - die Dienste des britischen Produzenten David Kosten in Anspruch. Das Ergebnis blieb musikalisch und kommerziell weit hinter den Erwartungen zurück. Daher wollte das Label, als die Sängerin gerade an "Pallas Dreams" arbeitete, noch mehr künstlerische Kontrolle über sie, was in die Trennung mündete: Nun erscheint der Rundling auf Radicalis.
Ihre neuen Songs gab die Baslerin in die Obhut ihres Bruders, Gitarristen und Produzent Alain Meyer, der die versponnenen Soundgemälde zwischen Pop und Elektronik verantwortet. Diese fußen in der Kindheit der 34-jährigen, die als Tochter christlicher Missionare einige Jahre auf den Philippinen lebte. Dort entwickelte Anna auch ein gewisses Interesse für heidnische Rituale - ganz zum Widerwillen ihrer Eltern.
In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur gesteht sie, dass sie ein Satz ganz besonders prägte, den ein Mann ihr als Kind auf der Straße erzählte: "Wenn die Sonne am Firmament tanzt, dann weint Maria Blut". Diese Marienerscheinung tauchte vor ungefähr einhundert Jahren auf, wie sie später im Internet herausfand. Im Grunde genommen versteht sie "die geheimnisvolle Welt aus ihrer Erinnerung" als "Symbol für die unentdeckte Zone ihrer eigenen Psyche", heißt es im Pressetext. Dieser spürt sie auf dem neuen Werk nach, angetrieben von der Suche nach Erleuchtung.
Die Platte zeichnet sich durch ein äußerst lebhaftes, facettenreiches Soundbild aus, das ungewöhnliche Rhythmen mit sowohl naiven als auch verträumten Melodien kreuzt. Obgleich "Dear Dear" mit balladesker Behäbigkeit und "Boy" mit zu seichtem Allerwelts-Pop-Unterbau zunächst noch auf die falsche Fährte locken.
Spätestens mit "Moskito" hat das sein Ende, wenn kunstvolles Klavier und der an Fever Ray erinnernde, pittoreske Gesang, der Tierlauten ähnelt, an einen Müllberg im Dschungel am Rande Manilas entführen - ein Symbol für die dort herrschende Armut und gleichzeitig ein Sinnbild für alte Erinnerungen sowie noch ungelöste innere Konflikte. Dass Anna Aaron mit "Pallas Dreams" Ordnung in ihre Gedankenwelt bringen will, vermittelt die in buntesten Klangfarben ertönende Nummer sehr anschaulich.
Im treibenden, gitarrenlastigen "New Things In Your Blood", das sich unter Hinzunahme dezenter elektronischer Feinheiten wie die Cocteau Twins anno 1983 anhört, geht es um Verwirrtheit, aber auch darum, nicht vor dem Leben zu kapitulieren, gleichgültig, wieviele Stolpersteine es auch bereithält. Davon kann die Mittdreißigerin allemal ein Lied singen. In "Rooms" begibt sie sich zu schweren, dichten Keyboard-Schwaden mit engelsgleichem Gesang in ätherische Gefilde - nur schimmert hier eher die filmische Schwermut von This Mortal Coils 1984er-Meisterwerk "It'll End In Tears" durch.
Etwas ausgelassener kommt anschließend das tanzbare "Last Time We Met", das mit House-Beats, Handclaps und dem schwülen Vortrag an die vielen experimentellen Momente des letzten Robyn-Albums "Honey" erinnert. In jedem Stück versetzt einen Anna in völlig andere emotionale Sphären, so entfaltet die Platte eine spezielle Eigendynamik. Gerade das Spiel mit dem Gegensätzen macht den Reiz der Platte aus.
Leider droht die Baslerin gegen Ende das zuvor so behutsam aufgebaute Kartenhaus selbst einzureißen, wenn sie sich in "Why Not" zu monotoner Percussion und rapiden rhythmischen Breaks zwischen avantgardistischer Kunstfertigkeit und poppigen Zugeständnissen hin- und herbewegt, sich aber weder für das eine noch das andere entscheiden kann. Ebenso ziellos gerät "Shifting Shapes", das zwar mit psychedelischer Gitarre wieder in sicheren Cocteau Twins-Gewässern wähnt, auf melodischer Ebene bei den schottischen Melancholikern aber nicht mal eine B-Seite abgegeben hätte.
Mehr Spannung weist zum Schluss die "White Lady" auf: Ein "Geist, der in der Straße spukte, wo ihre Familie wohnte, und vor dem die Anwohner eine solche Angst hatten, dass es unmöglich war, nach Einbruch der Nacht einen Taxifahrer zu organisieren, der dich zu dieser Adresse bringen würde". Und wie von Geisterhand findet die Schweizerin, wenn ihre sowohl kraftvolle als auch verletzliche Stimme zu eingängigen Piano-Arrangements und in die Höhe schraubenden Dance-Beats anmutige Pirouetten dreht, zur unschuldigen Unbekümmertheit zurück. Noch mal Glück gehabt.
Manchmal konzentriert sich Anna Aaron auf "Pallas Dreams" zu sehr darauf, als Sängerin glänzen zu wollen. Auch, wenn sich nicht leugnen lässt, dass sich ihre abwechslungsreichen Arrangements, oftmals deutlich von der Konkurrenz abheben. Wenn die Schweizerin beim nächsten Mal noch mehr auf ihr Bauchgefühl vertraut und sich noch weniger unter Druck setzt, Kompromisse eingehen zu müssen, steht einer erfolgsversprechenden Karriere nichts mehr im Wege.
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