laut.de-Kritik
Romantisch wie eine Kettensäge.
Review von Toni HennigDer Venezulaner Alejandro Ghersi produzierte unter dem Banner Arca zwei vielschichtige und komplexe Alben im Spektrum moderner elektronischer Musik. "Mutant" festigte seinen Ruf als radikalster Vertreter des Genres. Abgehackte Beats, verstörende Klangflächen und mysteriöse Field Recordings fügen sich darauf zu einen Gesamtkunstwerk zusammen.
Arca produzierte davor schon Platten für FKA Twigs, Kelela, Björk oder Kanye West. Ghersi schneiderte ihnen einen raumumgreifenden Sound dunkel brodelnder Bassflächen auf den Leib. Seine Artworks und Videos beschwören eine brutale Ästhetik herauf, die sich nahtlos in seiner Musik fortsetzt.
Da passt es wunderbar in's Bild, dass er seine selbstproduzierte EP "Entrañas" ohne Vorankündigung über Soundcloud veröffentlichte und als Download bereitstellte. Natürlich klingt hier wieder einmal alles anders. Zunächst stehen da 14 kurze Tracks in 25 Minuten, bei denen man nicht weiß, wo Anfang und Ende sind. Alle paar Sekunden findet sich der Hörer in einen anderen, bizarren Film versetzt, der Faszination und Ekel gleichzeitig in sich trägt. Wie auch schon "Mutant" funktioniert "Entrañas" nicht als Zusammenstellung einzelner Tracks, sondern über seine brodelnde, beängstigende Atmosphäre.
Schon das undurchdringliche Stimmgewirr zu Beginn zieht an den Nerven. Tanzbare, knallharte Beats gesellen sich dazu, die in gewohnt abgehackter Manier über den Hörer hinwegfegen. "Entrañas" nimmt keine Gefangenen.
Die horrorartige Atmosphäre zieht sich im weiteren Verlauf fort, findet aber in einem träumerischen Cocteau Twins-Sample einen herrlichen Kontrast. Der kurze Ausschnitt aus dem dreampoppigen "Treasure" wird aber mit brutalen Knarzbeats unterlegt. Ruhe findet man hier nicht. In bester Aphex-Twin-Manier ballert ein komplexer Beat nach dem anderen auf den Hörer nieder.
Die mittlere Hälfte der EP gestaltet sich im Gegensatz dazu technoid und besitzt ein paar sphärische Synthlines, die das restliche Material erstaunlich gut ergänzen. Die Features von unter anderem Mica Levi und Total Freedom halten sich musikalisch eher im Background. Jedoch sollte man auch hier nicht erwarten, dass es Arca einen zu leicht macht. Er hält genug Dissonanzen und Abgründigkeiten bereit.
Mystische, an Lisa Gerrard von Dead Can Dance erinnernde Gesänge beschließen die EP und rücken die ambienten Qualitäten Arcas in den Vordergrund. Die von bedrohlichen Klangflächen unterlegten ätherischen Momente entlassen den Hörer mit einen unbehaglichen Gefühl in der Magengegend. Mit tosenden Feuerwerk endet die EP abrupt.
Arca spielt in der recht kurzen Spielzeit seine unterschiedlichen Qualitäten von träumerischen Klängen über derbe Noise-Beats und kranken Horrorfilmelementen kompromisslos aus. Nahtlos gehen seine dunklen Klangcollagen ineinander über und ergeben eine süchtigmachende, bösartige Mixtur, die mehr ist als ein bloßer Vorbote für sein nächstes Studioalbum. "Entrañas" ist eine der interessantesten elektronischen Veröffentlichungen des Jahres.
1 Kommentar
Nimmt von der ersten Sekunde an gefangen. Manchmal wirken die Sounds nur ein bisschen billig (Lasersnare?!).