laut.de-Kritik

Die Eingängigkeit zerbirst in eine Million schillernde Teile.

Review von

Kanye West. FKA Twigs. Björk. Falls David Bowie mit seinen Platten noch einmal die Relevanz der Siebziger erreichen möchte, "Blackstar" hin oder her, sollte er sich bei diesen dreien die Telefonnummer von Alejandro Ghersi besorgen. Arca, der Teile von "Yeezus", "LP1" und "Vulnicura" entwickelte, wäre der perfekte Produzent für den Thin White Duke.

Auf seinen Soloarbeiten steht Gershi kein affektierter Gesang im Weg. Er entledigt sich endgültig sämtlicher Konversionen, erschafft keine Musik, sondern zerstört sie. Als würde er sie hassen, sticht er auf sie ein und zerfleischt ihre beengende Ordnung. Als würde er sie nicht kennen, als wäre er schlichtweg taub, heftet er sie wieder nach seinen Vorstellungen zusammen und versucht, diesem von ihm erschaffenen Wesen neues Leben einzuhauchen. Aber zeitgleich ist er sich bewusst, dass man Regeln erst einmal kennen muss, um sie zu brechen.

Ganze Teile seines elektronischen Werks lässt Arca komplett aneinander vorbeilaufen. Desinteressiert begutachten sich diese nur aus der Ferne. Erst aus der ständigen Wiederholung der verstümmelten Fragmente ergeben sich Takte und Melodien. Ein rissiger Faden, an dem man sich sechzig Minuten entlang hangelt, um letztlich doch unterzugehen.

Nicht die Beats, sondern die zerfurchten Harmonien halten Stücke wie den Opener "Alive" zusammen. Hartkantig bleibt der Track in ständigem Wandel. Ein Verschieben der Identität, eine Evolution der Klänge. Der akribisch kontrollierte Lärm in "Mutant" hat selbst für solche Mätzchen kein Verständnis mehr. Altmetall schlägt gegeneinander. Utopien zerbröseln. Explosionen bestimmen das Bild. Trotzdem erhebt sich aus dieser lebensfeindlichen Umgebung eine verängstigte Melodie, die langsam beginnt zu atmen, zaghaft pulsiert, nur um ein rabiates Ende zu finden.

"Vanity" beginnt eingängig wie ein früher Depeche Mode-Song, nur um darauf in eine Million schillernde Teile zu zerbersten. Widerwillig fügt sich ein Vocal-Loop in die kalte Elektronik und schonungslose Gewalt von "Umbilical". Ein aus ihrem Umfeld gerissene Erinnerung an das Menschliche.

Erst bei mehrfacher Wiederholung gewinnen Songs wie das industrielle und in Moll gekleidete "Snakes" einen Sinn. Einzig die zartgliedrigen "Else" und "Gratitude" sorgen für kurze Ruhephasen. Entspannung im Auge des Sturms, die die darauf folgende Gewalt nur um so brutaler wirken lässt.

Arcas "Mutant" hätte weder bei den X-Men noch bei Magneto eine Chance. Er verfügt über keine besondere Fähigkeiten, bleibt ein deformierter abweisender Klumpen. Nichts an diesem missförmigen Körper biedert sich an, versucht, zu umgarnen. Ob man sich auf dieses Scheusal einlässt und einen Blick in dessen Abgründe wagt, ist Gershi schlichtweg egal.

Trackliste

  1. 1. Alive
  2. 2. Mutant
  3. 3. Vanity
  4. 4. Sinner
  5. 5. Anger
  6. 6. Sever
  7. 7. Beacon
  8. 8. Snakes
  9. 9. Else
  10. 10. Umbilical
  11. 11. Hymn
  12. 12. Front Load
  13. 13. Gratitude
  14. 14. EN
  15. 15. Siren
  16. 16. Extent
  17. 17. Enveloped
  18. 18. Faggot
  19. 19. Soichiro
  20. 20. Peonies

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