laut.de-Kritik
Zurück aus dem Elfenbeinturm.
Review von Ulf KubankeSo unglücklich die Begleitumstände von "Vulnicura" auch sein mögen: Björk is back und basta! Mit dieser Platte sollte sie alle Freunde der frühen bis mittleren Ära bis einschließlich "Homogenic" zurückgewinnen.
Nach den Ausflügen vom strengen Minimalismus ("Medulla") bis zum totalen Multimedia-Overkill ("Biophilia") schwingt sich die Isländerin wieder hinab aus ihrem Elfenbeinturm. Mit allem dort Erlernten macht sie nun weiter, wo sie ca. 1997 aufhörte.
"Vulnicura" enthält echte Songs und emotionale Klanggemälde, die unterhalten, ohne den Kunstanspruch gänzlich aufzugeben. Die leidenschaftliche Exzentrikerin ihres Kopfes scheint sich mit der gefühlvollen Entertainerin in ihrer Brust endlich zu vertragen. Diese neue Homogenität spiegelt sich auch in der diesmal perfekten Wahl ihrer musikalischen Gäste. Gemeinsam mit dem Venezolaner Arca (u.A. Kanye West) und dem sinistren Dark Ambient-Magier Haxan Cloak webt Björk einen hypnotischen Teppich aus dunkler Elektronik, einem Hauch Klassik und zwischendurch angedeuteten Beats.
Vor allem der – wie immer – superbe Haxan Cloak erweist sich als idealer Partner in Crime. Sein Mixing ist schlichtweg optimal. Die introvertierte Kompromisslosigkeit des Briten bildet einen idealen Gegenpol zur sehr expressiven Persönlichkeit der ehemaligen Sugarcubes-Frontfrau. Zur Krönung dieser Traumkonstellation kommt dann noch Antony Hegarty vorbei, um dem "Atom Dance" als Duettpartner dem rechten Kick zu geben. Ein toller Song, der gleichermaßen stoische Rhythmus-Muster parat hält, wie auch das große stimmliche Drama.
Das Konzept der neunten Studio-LP ist den letzten Alben weit überlegen. Immerhin entstand es weder im Kopf noch freiwillig. Als Getriebene des eigenen Herzens verarbeitet Björk hier ihre in die Brüche gegangene langjährige Beziehung. Die ersten vier Tracks behandeln das Ringen, das Ablösen und die Erinnerungen. In der Mitte folgt die Trennung. Song sechs bis neun reflektieren schließlich Verlust, Hadern und die finale Heilung der Wunde.
Natürlich geht es bei der zierlichen Punk-Veteranin gewohnt schonungslos zur Sache. Jedes an sich selbst beobachtete Detail des Horrors und "every single fuck" fügen sich zu einem individuellen Mosaik, das gleichzeitig hervorragend als Dokument des Trostes funktioniert. Jeder, der ähnliches schon mal durchmachte, findet sich in irgendeinem Satz, einem Wort oder einer Note wieder. Authentischer kann man als Künstler wirklich nicht arbeiten. Björk: "Als ich dieses Album machte, kollabierte gerade mein gesamtes Leben. Es ist die mit Abstand schmerzhafteste Platte geworden, dabei aber auch die vielleicht magischste."
Nun steckt der Geysir Björk ohnehin voller Magie. Dennoch hat sie nicht Unrecht. Der spezielle Charakter "Vulnicuras" ergibt sich aus dem abgestimmten Zusammenwirken von Musik und Text. So fungieren die komplett von Björk arrangierten Strings in den Augenblicken der Hoffnung als Kokon. Sobald die Krise naht, kippen sie ins zerrende. Sogar die Beats mutieren vom harmonischen Herzschlag zur knarzig implodierenden Apokalypse ("Black Lake"). Dann versinken sie im schwarzen Gewässer der Hoffungslosigkeit.
Dennoch funktioniert die Scheibe auch ohne den symbolischen Zusammenhang. Sie ist kein Downer. Wer sich für den ganzen Ballast nicht interessiert, kann ebenso den rein ästhetischen Flow des Zyklus genießen. Der "Lionsong" etwa glänzt nach strengem "Medulla"-Intro mit runder, sensibler Melodie. Und das "Mouth Mantra" klingt so abgefahren zerrissen, als befinde sich Björks Stimme samt Streichorchester auf einem Gig in Space, während die Klingonen gerade angreifen. "When I'm broken, I am whole and when I am whole, I'm broken!"
Absoluter Knüller, Anspieltipp und einer ihrer besten Songs überhaupt ist der grandiose Opener "Stonemilker". Eine typisch treibende Björk-Ballade, deren anmutige Natur jedem gefallen sollte, der die "emotional Landscapes" à la "Yoga" am meisten an ihr liebt. Kein Mensch braucht Kinski oder Rammstein, wenn Frau Guðmundsdóttir inmitten dieses sensiblen, fast niedlichen Gesangs das "R" bei "Clarity" oder "Respect" so harsch und rau rollt, wie die isländische Landschaft aussieht.
So stellt sie mit "Vulnicura" nicht nur der eigenen Beziehung, sondern auch dem Hörer die alles entscheidende Frage: "Who is open? And who has shut up?"
20 Kommentare mit 87 Antworten
Bin gerade sehr überrascht. Hab nichts von dem Album mitbekommen... Die Rezi klingt sehr vielversprechend. Reinhören.
Achso... es ist geleaked...
Nein, allerdings iTunes-exklusiv bisher soviel ich weiß.
Boah, ich bin echt zu brav geworden für diese Welt... Hab kein iTunes und trotz Leak noch nicht reingehört, aber muss sagen, das hat auch was Gutes:
Nach all der positiven Berichterstattung allerorts und meiner unbändigen, nunmehr über 18 Jahre andauernden Fanliebe zu dieser Musikerin läuft mir seit Tagen ein Ei aus vor lauter Vorfreude... Und das war schon seit vielen Jahren auch bei meinen geschätztesten Lieblingskünstlern schon nicht mehr der Fall, da leider sämtliche Platten kurz nach Ankündigung schon auch irgendwie, auf irgendwelchen Wegen verfügbar für mich...
Diese hier spar ich mir bewusst auf und genieß die Vorfreude...
Ich warte auch auch bis die Platte auf CD verfügbar ist. Wenn sie von Amazon runterladen könnte würd ichs tun, gegen Itunes hab ich irgendwie was. Das nenn man dann wohl Dopppelmoral
Das Cover ist schonmal das grässlichste Björk-Cover allerzeiten. Bei Deutschlandradio Kultur haben sie letztens einen neuen Song gespielt und der hat mir sehr gut gefallen. Zwar nicht wirklich innovativ, aber dafür sehr schön.
Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.
Was hab ich mich gefreut, als ich den Opener gehört habe! Endlich ist Björk wieder auszuhalten und endlich in der Nähe meiner Lieblingsbjörkplatte HOMOGENIC. Leider hat das Intro mit den restlichen Songs nur die Streicher gemein, nach einmaligem Durchhören geht es mir schon tierisch aufm Sack! Alles ist wieder überladen mit atonalen Nervensägen. Grässlich! Zum Glück hab noch keine Tickets fürs überteuerte Berlin-Konzert gekauft.
Höre gerade erstmals rein. Beginnt wie eine direkte Fortsetzung zu "Homogenic", dem letzten Album, das ich kritiklos geliebt habe. Ab dann wurde sie, naja, wunderlich. Mit guten und schlechten Phasen. Aber sie scheint wieder an alte Pfade anknüpfen zu wollen. Der persönliche Touch scheint bei den letzten Alben gefehlt zu haben. Da hatte evtl. eine Künstlerin sehr viel Freiraum für ihre Ausflüge. Drücken wir es mal so aus. Und nun ist sie zurück. Mit all den Ecken und Kanten, die sie sowieso schon je hatte. Neue Liebhaber wird sie auch diemal nicht gewinnen können, aber immerhin werden alle alten Fans ihre Björk wiederfinden können. Klingt wunderbarst menschlichst elektronisch, so wie wir sie kennen und lieben gelernt haben. Wunderbares viertes Album von Björk.
Was hast du gegen die wunderschönen, sensiblen, aber auch teils minimalistisch- entrückten Meisterwerke Vespertine und Medulla? Das ist Musik wie von einen anderen Planeten. Keine menschlichen Worte können die Größe dieser Werke auch nur ansatzweise gerecht werden.
"You Are Be-..."- noch nicht ganz.