laut.de-Kritik
Diese Offenheit der Gefühle überschreitet Grenzen.
Review von Sven KabelitzAuch schwarze Hunde brauchen Liebe. Aufgrund von Gruselgeschichten, Mythen und Fehleinschätzungen haben sie einen so miesen Ruf, dass sie als schwer vermittelbar gelten. In England ist dies als "Black Dog Syndrome" bekannt. Als wäre all dies nicht genug, gilt dank Winston Churchill im englischen Sprachraum "Black Dog" symbolisch zudem als Bezeichnung für Depressionen.
Im Mai letzten Jahres nutzte Arlo Parks den Begriff für einen Song über Depressionen, der die Erwartung an ihr Debüt "Collapsed In Sunbeams" endgültig in die Höhe schießen ließ. Für viele galt sie danach als Sprachrohr der Generation Z. Ob dies so ist, möge bitte diese Generation selbst entscheiden und nicht ein Musikschreiberling in seinen Mitvierzigern wie ich.
Worin ich mir aber sicher bin: Das vergangene Jahr war großer Mist. Dank meiner Vorerkrankungen lebe ich wie viele seit März 2020 weitestgehend zurückgezogen. Nicht sonderlich förderlich für jemanden, der schon in der Vergangenheit mit Depressionen zu kämpfen hatte. Es schmerzt wie lange nicht mehr.
Zum Glück kommt nun diese zwanzigjährige Westlondonerin mit einer warmen Kuscheldecke aus Empathie um die Ecke. Nicht mit einem 'Alles wird gut' und einer Grapefruit, sondern mit einem 'Du bist nicht alleine' und einer Umarmung. Eine verständnisvolle Psychotherapeutin, die den Finger in die Wunden legt und aus der Trauer heraus mit ihrer Musik Hoffnung spendet. "Making rainbows, out of something painful" aus "Portra 400" steht wie ein Mantra über Parks erstem Werk.
Ihre vertrauliche Stimme unterlegt sie mit einer tiefenentspannten Mischung aus Indie- und Bedroom-Pop, Neo-Soul, Indie-Folk und Jazz-Anleihen. Ihre Texte und Poesie kommen nicht überkandidelt, sondern auf den Punkt.
Parks verpackt komplexe Seelenkacke und Zwischenmenschliches mit wenigen Wörtern in lebendige Geschichten. Mit ihrem freien Verstand bleibt sie in den Texten die meiste Zeit die sorgenvolle Freundin, die sich in andere hinein versetzt. "Sometimes it seems like you won't survive this / And honestly it's terrifying / ... / Just take your medicine and eat some food / I would do anything to get you out your room / It's so cruel / What your mind can do for no reason." ("Black Dog").
Dabei stellt sie sich nicht als allwissend dar. Sie hört zu, versucht dabei zu lernen. "I cannot communicate the depth of the feeling / Truth is I'm still learning to be open about this", spricht sie am Ende von "Hope". Wie so oft auf "Collapsed In Sunbeams" stehen sich die traurige Geschichte von Millie ("Won't call her friends 'cause she's ashamed of being locked into bed / Can't feel her legs and feeling like a liar at best") und das locker flocke Arrangement aus warmer Orgel, zurückhaltenden Bläsern, in Gedanken versunkener Gitarre und dezent gerührtem Schlagzeug gegenüber, finden ihre Verbindung erst über die melancholische Melodie.
Überall wimmelt es vor bekannten Gassen und Berühmtheiten wie Sylvia Plath, Robert Smith und Thom Yorke. In "Caroline" beobachtet Arlo Parks, wie der Streit eines Paares auf der Londoner Oxford Street eskaliert, achtet dabei auf Kleinigkeiten. Strawberry cheeks flushed with defeated rage / ... / I saw something inside her break / Everybody knows the feeling". Letztlich entsteht aus seinem aussichtslosen Aufschrei der Refrain: "Caroline, I swear to God I tried."
Zusammen mit Clairo entstand "Green Eyes", die Geschichte einer kurzen Liebe mit einer Freundin, die sowohl Gesellschaft ("Some of these folks wanna make you cry / But you gotta trust how you feel inside and shine) als auch Familie ("I wish that your parents had been kinder to you / They made you hate what you were out of habit") ablehnen. Ein Lied über das langsame aufbauen von Selbstakzeptanz und Selbstvertrauen.
In "Eugene" ändert sich Arlo Parks Blickwinkel um 180 Grad. Ausnahmsweise stehen hier sie selbst und ihre Gefühle ganz im Mittelpunkt. Aus einer freundschaftlichen Beziehung seit Jugendtagen entsteht Liebe, die die Person gegenüber nicht erwidert. Stattdessen steht man dabei, wenn der dämliche "Eugene" den Platz einnimmt, an dem man doch selbst so gerne stehen würde. Bekommt aus einer hoffnungslosen Position heraus mit, wie nun die Bücher und Lieder, die man eben noch gemeinsam hatte, nun mit ihm geteilt werden. "You play him records I showed you / Read him Sylvia Plath, I thought that that was our thing / You know I like you like that / I hate that son of a bitch". Ein Stück voller Gram und Eifersucht, in dem Parks mit nur kleinen Nuancen der Stimme ebenso Zuneigung wie Abneigung transportiert.
Letztendlich sollte Arlo Parks mit ihrem Einfühlungsvermögen nicht als Sprachrohr einer einzelnen, sondern aller Generationen stehen. Ein wichtiger Longplayer, der auch Menschen abseits seines Genres erreicht und durch die Offenheit der Gefühle Grenzen überschreitet. Lange habe ich nicht mehr bei einem neuen Album geweint, aber "Collapsed In Sunbeams" schaffte es. Aber das ist okay, denn wie Arlo Parks gleich zu Beginn versicherte: "You shouldn't be afraid to cry in front of me. I promise" ("Collapsed In Sunbeams").
PS: Und wenn ihr euch das nächste Mal einen Hund zulegt, denkt nun bitte auch an die schwarzen.
13 Kommentare mit 35 Antworten
"Auch schwarze Hunde brauchen Liebe. Aufgrund von Gruselgeschichten, Mythen und Fehleinschätzungen haben sie einen so miesen Ruf, dass sie als schwer vermittelbar gelten."
Da habe ich in Deutschland noch nie von gehört.
Ansonsten bin ich sehr gespannt auf das Album, die Singels waren fantastisch!
Eine Google Suche nach "black dog meanings" brachte folgendes: a metaphorical representation of melancholy or depression.
"I may still have a black dog in me, but I manage to keep him corralled"
Ich denke das passt.
Zur Musik: Gefällt, auch wenn es mich beim ersten hören nicht vom Hocker haut. Noch nicht? Gebe ihr noch ´ne zweite und dritte Chance.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Das ist ja völlig irre.
@John: jap, definitiv drei Chancen, hat sie verdient!
Ist aber leider so, Arge. Such mal nach "Schwarze Hunde schwer vermittelbar". Unser war alleine wegen seiner Fellfarbe ein Notfall. Der Prozentsatz der Hunde, die in den USA in Tierheimen am häufigsten eingeschläfert werden, ist bei schwarzen Hunden am höchsten.
Ich hingegen leide am Dicke Finger-Syndrom und habe meinen ersten Post aus Versehen gelöscht.
Ich finde das mutig, wie du als prominenter Musikredakteur einen so lockeren öffentlichen Umgang damit pflegst. Für viele ist das Dicke Finger-Syndrom immernoch Tabuthema.
ich glaube, wir haben alle unser kreuz zu tragen. ich z. b. leide am wurstfinger-syndrom. ich höre heute noch meine großmutter rufen: "junge, lass dei wurschtfinger von dei kuhsien". dabei wollte ich nur sex.
SK: Yo, dann wird das wohl so sein, Danke für die Aufklärung.
Verrückt! Dabei weiß doch eigentlich jeder, dass schwarze Flat Coated Retriver und Hovawarts die süßesten Hunde sind.
Kann wirklich was mit Mythologie und Aberglaube zu tun haben. Zerberus, Schwarz generell als Menetekel, whatever. Menschen sind scheiße
Ich mag Black Dogs, aber höre es nur heimlich wie den Life is Strange-Soundtrack #emo
Life is Strange ♥
Life Is Cringe ♥
Life is accepting the bad with the good ♥
Life is life ♥
nana na na na DAMMIT
Sehr schöne Soul Musik ???? von einer Talentierten jungen Sängerin.
Kenne bisher auch nur Black Dog und da deckt sich mein Eindruck mit der Rezengsion, dass ich das vor allem anderen zuächst einmal als außergewöhnlich empathisch wahrgenommen habe. Auch wenn mich die Line "just eat your medicine..." da immer etwas rausreißt. Werde aber mit Sicherheit einmal reinhören.
Erinnert mich an die soul-poppigeren Seiten von Morcheeba(Fragments of Freedom). Nach englischem Recht jetzt auch volljährig, insofern wohl Zeit für die nächste Generation. Schöne glatte Feelgood-Musik, aber für ein Meisterwerk fehlt doch einiges: Innovation, Eigenständigkeit, Ecken und Kanten, irgendwas was auch 2022 noch hängen bleibt.
Hat mich auch an Morcheeba erinnert, aber Feelgood Vibes kommen bei Black Dog kaum auf... Triphoppig isses auf Jeden.
Alter, bin ja weltgrößter Morcheeba-Fan und das macht jetzt echt neugierig, bin bisher noch nicht zum hören gekommen.
Skye&Ross Album auch schon gehört, oder nur den reinen Morcheeba Stuff?
Das und Skye-Solo, alles gehört und gemocht!
Skye Solo-Platte kenn ich gar nicht, wird gecheckt. Morcheeba ist allerdings irgendwie keine Wintermusik für mich.
Morcheeba / Skye geht für mich zu jederzeit, die entsprechende Stimmung vorausgesetzt.
Die richtige Stimmung oder den richtigen Salat vorausgesetzt?
Aber im ernst, das geht bei Sonne am Strand genauso gut wie im Herbst mit Tee und Decke. Skye singt einfach wie ein Engel, pures Gold.
Stimmt, das Gefühl hab ich sonst nur ansatzweise bei Nneka in guten Momenten, anderes Timbre natürlich
Nneka lief auch seit längerem mal wieder nen ganzen Abend durch hier. Die soll mal wieder ein Album machen!
Ist schon schöne Musik, über die man sich freuen würde, wenn sie im Radio oder im Café laufen würde. Um die Begeisterung nachzuvollziehen, müsste ich wohl stärker auf die Texte hören.