laut.de-Kritik
Das ist Popmusik, und doch etwas ganz eigenes.
Review von Simon ConradsAurora will wieder an unser Innerstes, will, dass wir die richtig großen Emotionen fühlen, das macht jeder Song auf ihrem neuen Album "The Gods We Can Touch" ziemlich schnell klar. Der Hall, der den Großteil ihrer eigensinnigen Popsongs prägt, wirkt wie eine Einladung, sich gefühlsmäßig geradezu in die Klangräume reinzuwerfen. Das klappt über weite Strecken ganz fantastisch und die Norwegerin beweist wieder, dass man Schmalz nicht zu scheuen braucht.
Thematisch zieht sich Auroras Faszination für die Götter und Göttinnen der griechischen Mythologie durch das Album, über die sie selbst sagt, sie seien "vollkommen unvollkommen. Fast zum Greifen nah. Wie Götter, die wir berühren können." Die heutigen Götter dagegen: Ziemlich öde und zu fordernd. Die eigenen Mängel und die Antiperfektion feiern auch Songs wie "Giving In To The Love" oder "Cure For Me". Ersterer erinnert musikalisch an Robyns "Dancing On My Own", bleibt aber deutlich optimistischer. "Want to live my life, be all of its pages / And underline that I am not an angel", singt sie da und es gelingt ihr, diese Selbstzufriedenheit und Selbstermächtigung in der Musik zu transportieren.
"Cure For Me" überzeugt vor allem mit dem rhythmischen Synthie in der Hook. Hier unterstreicht die Musikerin, dass sie eigentlich ziemlich fein mit sich ist: "I don't need a cure for me, I don't need it." Auch "A Temporary High", das klingt, als würde Blondie auf Fleetwood Mac treffen, fällt in diese Kategorie. Das Stück strebt nach vorne und reißt mit. Neben solchen eher Dancefloor-orientierten Tracks gibt es bei Aurora aber eben auch die großen theatralischen Gesten und schmalzigen Balladen.
In Stücken wie "Exist For Love" und "This Could Be A Dream" bauen ihr die Instrumente eine breite Bühne, rücken den Gesang noch mehr in den Mittelpunkt. Sie füllt diese Bühne mit ihren fast übernatürlichen Vocals aus, ihre Stimme ist das zentrale Melodieinstrument der Tracks. Der Vortrag sorgt dafür, dass auch Zeilen wie "'Cause when you walked into my life / I could feel my life begin" nicht zu gefühlig geraten. Ganz besonders eindringlich gerät durch ihren Gesang auch das gespenstische "Heathens", und das Theatralische besticht auch in "You Keep Me Crawling". Der Song hätte mit den Streichern und der starken Hook auch gut ein James Bond-Song aus der Pierce Brosnan-Ära sein können.
Durch die teilweise fast schon geflüsterten Vocals und den prägnanten Einsatz von Zweitstimmen erinnert die Musik teilweise an Billie Eilish, die ihrerseits Auroras Song "Runaway" als großen Einfluss bezeichnet hat. Wo aber Eilishs Musik doch meist eher zum Düsteren tendiert, klingt Aurora auf "The Gods We Can Touch" häufig eher himmlisch (oder den griechischen Göttern entsprechend: olympisch). Dabei ist das Album extrem vielseitig, wird aber von den Eigenarten und dem dem guten Händchen für Produktion der Norwegerin zusammengehalten.
Der verträumte Closer "A Little Place Called The Moon", der über lange Strecken instrumental bleibt, wirkt da ebenso passend wie "Artemis". Der Song versetzt einen mit seinem Akkordeon direkt an das Ufer der Seine in Paris und funktioniert auch ganz ohne Beat. Auch "Blood In The Wine", das durch den Hang zum Pathos an den Franzosen Woodkid erinnert, in der Hook dann aber doch einen sehr eingängigen Weg einschlägt, ist sehr gelungen.
Selbst wenn Stücke wie "The Innocent" oder "A Dangerous Thing" im Albumkontext eher unauffällig bleiben und das Album etwas lang gerät, bleibt am Ende große Bewunderung. Aurora macht weiterhin die Sorte Popmusik, die man nur widerwillig so bezeichnen möchte, weil sie eben doch etwas ganz eigenes ist.
6 Kommentare mit 9 Antworten
Ihr Drolligkeitsfaktor zieht bei mir nicht, deshalb hat die Musik für mich leider wenig zu bieten. Ein Trend, den ich vor zehn Jahren in der Flut des ganzen "Hach, wie niedlich die da herumjuckst und fiepst beim Singen!!!!!" schon nicht verstand.
Der Drolligkeitsfaktor zieht ja schon bei deutschem Gangsterrap nicht.
Eigentlich ne gute Idee, Deutschrapmüll als drollig zu betrachten, Chris. Wirkt gleich sympathischer.
Der Herr hat wohl einen beschränkten, auf wenige Schubladen reduzierten Musikgeschmack. Kein Wunder, dass er nix versteht.
Hey, sprich bloß nicht schlecht über Jesus' Dad, Ketzboy!
Schmuckes Album. "Heathens" erinnert mich an "Show Your Love" von Jean-Benoît Dunckel, und auch "Everything Matters" lässt mich vermuten, dass "H+" bei ihr öfter rotiert sein könnte. Und der Schlusstrack ist sowieso ein Träumchen. Allerdings ist mir das Album fast schon zu kurz. Aber nur fast.
Gut beobachtet. AIR haben schon viele inspiriert. Hoffentlich raufen die beiden sich nochmal zusammen, aber falls nicht gibt es ja noch die Solosachen.
Gefällt mir bislang besser als ihr früheres Zeug. Wird im Auge behalten
Früher klang das ja als hätte Max Giesinger ne technisch Recht kompetente Orgie mit Heilung gefeiert, während der zu viel Mucke von Einar Selvik lief. Ich bin mir nicht sicher ob der Wandel zu straightem Pop mir jetzt besser oder schlechter gefällt. Aber ich verstehe warum Menschen das mögen.
Noch ein Gedanke anbei: Das ist eine verdammt gute Sängerin, siehe man Tiny Desk Konzerte o.ä.. Warum muss man auch hier in der Produktion mit unnatürlich perfekter Pitch Correction das Ganze aller Seele berrauben?
Ihr bislang schönstes Album; und das von vorne bis hinten.
Da stimme ich dir zu ist wirklich ein sehr schönes Album von Aurora kannte sie Sängerin bisher nicht.
Die Sängerin Aurora kannte ich vorher nicht.
Entschuldige, wen kanntest du vorher nicht?
Holy, ihre Stimme ist einfach unglaublich. Fühlt sich sehr Inspiriert an, meiner Meinung nach deutlich mehr als auf den letzten beiden Projekten. Die Harmonien funktionieren perfekt, ihre Stimme klingt so sanft und kann gleichzeitig so kraftvoll sein. Ihre weichere Seite erinnert mich an machen Stellen tatsächlich etwas an Björk, nur halt mit Dance-Pop Beats unterlegt, was aber für mich gut funktioniert und sicherlich im Mainstream mal sehr interessant wäre. Sicherlich nicht wirklich für jeden, die Texte sind meist etwas kindlich, gar etwas kitschig und wie sie zwischendurch zufällig ihre Stimme hebt und senkt, mag bestimmt nicht jedem gefallen. Trotz all dem Windowdressing ein meiner Meinung nach gelungenes Projekt. 4/5