laut.de-Kritik
Dagegen ist Justin Bieber ein Songwriting-Titan.
Review von Ulf KubankeVier Jahre sind seit "The Best Damn Thing" vergangen. "Goodbye Lullaby" soll Avril Lavigne nun erklärtermaßen den weltweiten Respekt als Singer/Songwriterin sichern. Dieses ehrgeizige Ziel rückt nach dem zweifelhaften Genuss der immerhin 14 Lieder jedoch in weite Ferne. Den - Lavigne eingerechnet - immerhin fünf Produzenten des bunten Breis kann man dabei noch die wenigsten Vorwürfe machen.
Das Make Up der Tracks ist nicht nur modern und abwechslungsreich, es kratzt bisweilen sogar zaghaft an der Tür der Unkonventionalität. Fast alle Gewürze sind klangästhetisch anspruchsvoll, so man es mit den letzten Ergüssen der Kollegen Timbaland, Spears, Pink oder Katy Perry vergleicht. Die Zutaten ihres Poprock-Mikrokosmos sind ein wenig reichhaltiger, da sie organische Elemente wie Gitarren oder Klaviertöne geschickt mit Dancepop-Ingredienzien unterschiedlicher Prägung bereichert. Besonders die perkussiven Elemente gelingen ihr erfreulich abwechslungsreich.
Lavignes Problem ist ein anderes. Nun, wo sie großen Schrittes auf die 30 zugeht, gehört die bunte Bubblegum-Niedlichkeit des görenhaften Westentaschen-Riot Girls für brave H&M-Chicks der Vergangenheit an. Stattdessen schnappt sich die Kanadierin ihre Akustische und verkündet stolz, fast das ganze Album zumindest entscheidend mitgeschrieben zu haben.
Eigene Erfahrungen, tiefe Gefühle. So weit, so schön. Nur sind solcherlei Ambitionen leider sinnlos, wenn dabei Lieder herauskommen, die selbst 14-jährigen Frischlingen in Dorfschulproberäumen der dunkelsten Provinz die Fremdschamesröte ins Gesicht meißeln würden. Neben diesen Songs wirkt sogar ein Justin Bieber wie ein gut abgehangener Songwriting-Titan.
Die Tracks lassen fast ausnahmslos irgend eine eigene Kontur vermissen. Sie verfügen über keinerlei Charakter, nicht einmal einen schlechten. Und das liegt mitnichten an dem ohnehin für Oberflächlichkeit oft so anfälligen Pop-Genre. Kolleginnen wie die kolumbianische Hüftschwingerin Shakira oder die seit der Kreidezeit regierende Dino-Queen Madonna haben es vorgemacht, wie man auch im fluffigsten aller Musikstile mit schicken Evergreens ein Zeichen gegen die Vergänglichkeit setzen kann. "Goodbye Lullaby" schafft dagegen noch nicht einmal nach dem fünften Durchlauf den Sprung vom Klein- ins Großhirn. Wenn dann wider Erwarten doch ein paar Noten hängen bleiben, sind sie dort in etwa so vergnüglich wie Migräne.
Wer das zugegeben schwelgerische Wattebauschpiano-Intro nach 90 Sekunden hinter sich hat, ist bereits am Zenit des Albums angelangt. Von nun an geht es nur noch bergab in die Hölle simpelster Luschen-Melodien, die jeden Charme gut gemachter Berieselungsunterhaltung vermissen lassen. "What The Hell" macht gleich Ernst mit gesanglich übelster Quengel-Intonation in der Strophe und einem Chorus, der zum Ende penetrant in kieksenden Lalala-Rufen untergeht.
Vor allem Avrils Gesang hat sich in den letzten Jahren nicht im Geringsten weiter entwickelt. Wer sich im Kehrreim von "Push" nicht angeschrien fühlt, darf sich ob des stählernen Nervenkostüms beglückwünschen, sollte aber den Besuch eines Ohrenarztes ernsthaft in Betracht ziehen. Ihrer Stimme geht ohnehin jedes runde Volumen komplett ab. Das mag auch der gern laut bis schrill geführte Vortrag nicht verhehlen. An den romantisch gedachten Stellen klingen die Töne roboterhaft und kalt wie eine Hundenase, während das beliebte Autotuning die in hohen Passagen unfertige Stimme nicht vor dem künstlerischen Absturz in den Hades mittelprächtiger DSDS-Recall-Tussis bewahrt.
"Everybody Hurts" nimmt seinen quälenden Titel all zu wörtlich. Ist es Tollkühnheit, Selbstüberschätzung oder grenzenloser Leichtsinn, diese Bezeichnung für ein Stück zu wählen, das qualitativ so weit hinter dem berühmten R.E.M.-Namensvetter liegt, wie der Mariannengraben unter dem Meeresspiegel? Der weit verbreitete Irrglaube, die bloß daher geleierte Wiederholung derselben Phrasen mache einen tollen Refrain, war ohnedies noch nie besonders hilfreich.
Zum Ende wird es mit "Lullaby"" noch einmal fast ein wenig interessant. Mit gelungen suggeriertem Streichquartett, dezentem Piano und gemütlichen Gitarren plus netter Melodie stimmt so lange alles bis zum pseudo-emotionalen Einsatz Lavignes, der den Hörer so unberührt zurücklässt wie eine jungfräuliche Nonne. Nach diesem Schlaflied möchte man nicht mehr aufwachen, bis die Scheibe endlich verklungen ist.
39 Kommentare mit 3 Antworten
Tja, als ich damals das zweite Album gehört hatte, dachte ich, da könnte vielleicht doch noch mal was gehen. War aber nicht so....
Die erste Singleauskopplung hätte auch von Pink sein können. Und Pink mag ich nicht. Avril Lavigne - Dead to me
Die Kleine versuchte man ja damals als so eine Art Britney Spears für Punk- und Alternative-Fans aufzubauen und war dabei so offensichtlich Fake, dass nur die wirklich Naivsten darauf einstiegen.
Kann mich noch an ein Interview erinnern, indem sie nicht müde wurde immer wieder zu versichern was für ein großer Punk-Fan sie doch ist. Als der Reporter sie dann fragte, was ihr Lieblingssong von den Sex Pistols sei, kam dann die Gegenfrage, wer zur Hölle denn diese Sex Pistols wären. Sie hatte noch nie im Leben von denen gehört...
und da sieht man wieder, wie sich die Meinungen spalten können! ich bin ein Avril-Fan seit sie mit der Musik überhaupt angefangen hat, klar hat sie sich verändert aber meint ihr nicht auch, dass das wegen der starken Konkurrenz so ist? Meint ihr, sie weiß nicht, dass sie Leute wegen ihres früheres anti-Britney Image hassen? Sie stand in letzter Zeit unter enormen Druck und wurde auch noch von ihrem Mann verlassen und schrieb ihre Gefühle in Lieder nieder. Und es gibt immer wieder Leute, die einen nicht mögen, es ist einfach so! Ich habe auch noch nie was wirklich positives über The Rasmus von anderen Leuten auf laut.de gelesen. wenn ihr eine/n Sänger/in oder Band nicht mögt, dann hat ja die Rezension meistens schon genug gesagt, aber Fans noch mit blöden Kommentaren aufzuregen bringt auch nichts...
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Komisch. Irgendwie muss ich gerade an Heinz Fischer denken. Gibt‘s den eigentlich noch?
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Komisch, beim Lesen dieses Texts muss ich an Wiesel denken, obwohl es nichts mit Avril Lavigne zu tun hat.
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