laut.de-Kritik
Alles Schlampen außer Mum!
Review von Dani FrommHallo? Flaschenpost? Im CD-Cover von "Zeitlos" steckt ein gerolltes Zettelchen, umwickelt mit einem Gummiband. Da hat sich aber jemand Mühe gegeben.
Das Schmunzeln erstirbt angesichts der traurigen Geschichte, zu der besagte Botschaft geleitet, im Keim: Im Rücken der Platte steckt der Abschiedsbrief seiner Familie. Produzent Arves starb mit gerade einmal 23 Jahren an den Folgen eines Asthma-Anfalls.
Wer denkt, nun käme in frommen Angedenken an den verlorenen Kollegen ein rührseliges, gefühlsduseliges Machwerk auf einen zu, hat die Rechnung allerdings ohne B.E. den Micathleten gemacht. "Ich hoffe, es ist so geworden, wie du es dir vorgestellt hast", widmet er "Zeitlos" seinem verstorbenen Freund, mit dem er vor dessen Tod gerade noch die Beats ausgewählt hatte. Eine trübsinnige Platte wäre offensichtlich nicht in Arves' Sinne gewesen.
"Es bringt mir nichts, in Selbstmitleid zu baden." So beginnt "Zeitlos" gar nicht weinerlich mit einem selbstbewussten Representer: "Hier Kommt Er". Wie technisch versiert B.E. tatsächlich operiert, stellt sich allerdings erst im Verlauf heraus.
Zum "deutschen Tech N9ne" - ein Vergleich, den ich irgendwo las - würde ich B.E. zwar nicht gleich erheben. Einen durchtrainierten Micathleten gibt er mit seinen variablen Flows und punktgenauen Doubletime-Passagen aber allemal ab.
B.E. jumpt "über die Beats, als wären es Sonic-Welten". Spätestens zum mittig platzierten Skit sollte jedem die Richtigkeit seines Titels aufgegangen sein: "Ich Spitte Fett".
Einige eher mittelprächtige Nummern - die in "Leb Meinen Traum" oder "Heute Ist Nicht Dein Tag" behandelten Thematiken wurden einfach bereits drei- bis zwölfmal zu oft abgefrühstückt - täuschen auf Albumlänge nicht über B.E.s weit gesteckten Horizont hinweg.
Klar, dass er sich mit dem Tod seines Freundes befasst. Das Thema schimmert immer wieder durch, nicht nur im Titeltrack, in dem B.E. seinen Verlust zu verarbeiten versucht und seinem Kollegen damit ein Denkmal setzt.
Zu munterem Geklimpere und vergnügt hüpfender Basslinie schlägt er sich lustig mit den gar nicht so lustigen "Klischees" herum, vor denen es für einen libanesisch-stämmigen Menschen in diesem Land offenbar kein Entrinnen gibt. In "Daymares" wandelt B.E. auf den zuweilen verschwimmenden Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, "Alles Schlampen Außer Mum" nimmt, ohne zu moralisieren, eine zunehmend auf Äußerlichkeiten und sexuelle Reize fixierte Gesellschaft aufs Korn. Die Welt geht vor die Hunde? Macht nix, Hauptsache, "Bin Laden Ist Tot".
Persönlich wird es, wenn im leicht angesoulten "Kopf Oder Herz" zweiteres lautstark um Beachtung krakeelt oder - noch um Längen berührender - wenn B.E. in "Geschichten Von Mama" das Schicksal seiner Familie aufrollt. Das steht exemplarisch für das zahlloser Flüchtlingsfamilien, in denen sich die Hilflosigkeit und Unsicherheit der entwurzelten Eltern in der Wut der Söhne niederschlägt.
Bei aller persönlicher und familiärer Tragik: Allzu deprimierend wird es in B.E.s Gesellschaft nie. Er hätte sich allein schon für das Skit "Isch + Ich" einen Handkuss verdient. Schade, dass "Zeitlos" ausgerechnet an seinen Beats krankt. Die Instrumentals verraten zwar große Musikalität und ein gutes Gespür für Melodien und stecken voller hübscher Details, lassen aber fast überall Wucht und Tiefe vermissen - als stecke man in oben genannten "Sonic-Welten" fest.
Gut möglich, dass Arves dahingehend noch Hand angelegt hätte, wäre ihm die Zeit dazu geblieben. Das allerdings werden wir nicht mehr erfahren. Er möge in Frieden ruhen. Mit B.E. dagegen sollte man besser noch rechnen.
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Interessante Technik, zumindest in diesem Video.