laut.de-Kritik

Tu, was du willst, soll sein das ganze Gesetz.

Review von

Ehe der "Meister Der Zeremonie" sein mehrere Jahre währendes Schweigen zu brechen gedenkt, möge bitte erst einmal jemand eine Kerze entzünden. Gut möglich, dass dabei nicht nur der Docht Feuer fängt, sondern auch gleich eine Lunte. Emotionale Pulverfässer hortet Basstard jedenfalls mehrere.

"Das Leben nach Regeln von anderen zu leben verschafft mir keine Befriedigung", erhebt er im eigentlichen Intro "MDZ" den Individualismus zur obersten Maxime. Damit bewegt er sich auf den Spuren eines anderen düsteren Zeremonienmeisters: "Tu, was du willst, soll sein das ganze Gesetz", dozierte Aleister Crowley schon vor über hundert Jahren und zitierte dabei noch ältere Quellen.

Dem strapazierten Lieblingszitat der Satanisten hatte er aber noch etwas hinzuzufügen: "Tu, was du willst, soll sein das ganze Gesetz. Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen." Da schau her! Es geht keineswegs darum, mit aller Gewalt die eigenen Interessen durchzusetzen, ohne Rücksicht auf Verluste. Crowley hatte zudem viel übrig für die Liebe, und noch mehr für den freien Willen.

Ich schätze, Basstard hätte ihm gefallen. Der stürzt sich (in Ermangelung letzterer) zwar nicht mit Haut und Haaren, aber mindestens mit Leib und Seele in seinen ganz persönlichen gelebten Wahnsinn. Er zimmert sich seine eigene Schublade, nur, um sie gleich wieder in tausend Splitter zu sprengen. Weil er es will.

Sich als finsterer Hohepriester seiner Gemeinde in Szene zu setzen, der unablässig mit religiösen und okkulten Motiven jongliert, bedeutet in Basstards Welt keineswegs, dass man nicht im nächsten Moment eine grenzwertig kitschige Liebesschnulze ans das "Mädchen Aus Dem Osten" anstimmen oder Indira Weis (!) of Bro'Sis- und Dschungelcamp-Fame als "Prinzessin Der Strasse" engagieren und mit ihr eine astreine Swing-Pop-Nummer aufs Parkett legen dürfte.

Zusammen mit Prinz Pi schwelgt Basstard im "Fernweh", Kontra K und Sido helfen beim Malen bunter Sprachbilder in "Pablo Picasso", während "Berliner Chaoten" mit Bogy, Manny Marc und Frauenarzt zu Besuch ein BC-Bassboxxx-Revival feiert: "Wir sind Berlin der 90er Jahre!" Wie wahr.

Passt alles nicht zusammen? Stimmt, nicht die Bohne. Scheiß drauf, Basstard tut eben tatsächlich in jedem einzelnen Moment ganz genau das, was er will. Insofern wirkt sein Album trotz der inhaltlichen wie personellen Unvereinbarkeit so dermaßen aus einem Guss, wie es von Rechts wegen eigentlich wirklich nicht dürfte.

Basstard kriegt den Spagat auch ohne Gäste hin. Er badet erst in "MDZ" in Tod, Verfall und Verdammnis, und gibt dann in "Humanoid" einen gezwungenermaßen stocknüchternen Geschichtenerzähler. In diesem Duell Mensch gegen Maschine zeigt sich, wie einst beim "Terminator": Wenn die Maschinen am Ende menschlicher reagieren als die Menschen, steht es nicht gut um unsere Spezies.

Grund genug, um sich in "Antimaterie" mit Fragen über Fragen unterschiedlichster Größe zu befassen: "Wer schaut aus den Augen eines ausgestopften Hirschkopfs auf dich herab?" "Golgatha" wagt sich ebenfalls in philosophische Tiefen vor. In "100 K Meilen dürfte sich der eine oder andere Depressive wiederfinden. Basstard kennt sich in dieser Materie offensichtlich bedrückend gut aus. Die Mahnung "Nicht So Depressiv Sein" richtet er deswegen durchaus in erster Linie an sich selbst.

An dieser Stelle ein dankbarer Handkuss an das an anderer Stelle besungene "Mädchen Aus Dem Osten": "Wegen dir hab' ich mich mit dieser ganzen Scheißwelt versöhnt", erklärt Basstard dort. Damit hat die Dame zweifellos ein gutes Werk vollbracht.

Johannes M. Arend und Timo Krämer erledigen einen mindestens ebenso gelungenen Job an den Reglern: Sie illustrieren Basstards widersprüchliche, und in sich doch so stimmige Worte mit den passenden Klängen. "Nur Ein Basstard" beginnt mit dunklen Klaviernoten. Bleibt den Tönen zunächst noch reichlich Raum, nimmt parallel zum Sprechgesang auch der Beat Fahrt auf. Immer mehr Instrumente stopft Krämer ins Bild und vollzieht zugleich das Kunststück, das Gemälde am Ende nicht überfrachtet aussehen zu lassen. Eine richtige Hook vermisst hier wohl keiner.

Arend illustriert die Dringlichkeit in "Antimaterie" mit treibenden Drums, bereitet in "Golgatha" dem Jüngsten Gericht mit akustischer Endzeitstimmung den Boden und lässt den "Daemon" mit schrägem Rhythmus immer leicht neben dem Tritt grooven. Bloß keine Erwartungen erfüllen, das wäre ja bocklangweilig.

Den alten Horrorkore-Basstard kriegen seine Fans in Gestalt dreier Bonus-Tracks doch noch obendrauf. Dort beschwört der kleine Mann "Asmodeus", lässt in "Dunkler Engel" - mit Opernsängerin Katharina Borsch im Chorus - zu klagenden Melodien unerfreulichen Rachefantasien freien Lauf oder weckt, "Wach Auf!", eine Horde Wiedergänger. Die ruhigen, harmonischen Passagen wirken hier verstörend trügerisch, als könne jederzeit, aus jeder Richtung Unheil über einen herein brechen. Genau so verhält es sich ja auch.

In Basstard, machen wir uns nichts vor, steckt immer noch nicht der aller-allerausgefeilteste Rap-Techniker und ganz gewiss kein begnadeter Sänger. Wer sich mit seiner doch einigermaßen speziellen Stimme noch nie anfreunden konnte, dürfte damit auch auf "Meister Der Zeremonie" seine Schwierigkeiten haben. Was das Beschwören von Atmosphäre angeht, darin macht ihm allerdings so schnell keiner etwas vor.

"Ich habe hier noch ein kleines bisschen Magie, das ich dir gerne geben würde." Sieht aus, als habe Mach One einmal mehr Recht behalten: Im Grunde seines Herzens ist Basstard gar nicht so böse, wie er lange getan hat. Eigentlich ist er ein riesengroßer, rettungsloser Romantiker. "Und wenn du an mich glaubst, zünde ein paar Kerzen an." Nicht nötig. Die brennen doch längst.

Trackliste

  1. 1. Entzünden
  2. 2. MDZ
  3. 3. Nur Ein Basstard
  4. 4. Fernweh feat. Prinz Pi
  5. 5. Humanoid
  6. 6. Antimaterie
  7. 7. Golgatha
  8. 8. 100 K Meilen
  9. 9. Pablo Picasso feat. Kontra K, Ozan (Puls) & Sido
  10. 10. Mädchen Aus Dem Osten
  11. 11. Lass Nicht Los
  12. 12. Prinzessin Der Strasse feat. Indira Weis
  13. 13. Nicht So Depressiv Sein
  14. 14. Berliner Chaoten feat. MC Bogy, Manny Marc & Frauenarzt
  15. 15. Daemon
  16. 16. Ein Letzter Schrei
  17. 17. Auslöschen
  18. 18. Wach Auf!
  19. 19. Asmodeus
  20. 20. Dunkler Engel

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