laut.de-Kritik
Wollt ihr einen neuen Messias?
Review von Anne Nußbaum"Nothing but human voice and a microphone". So wird bescheiden auf einer MySpace-Seite angepriesen, was eines der spannendsten Phänomene der deutschsprachigen Musikszene darstellt. Bauchklang aus dem österreichischen St. Pölten sind nicht nur irgendein Vokalensemble. Sie sind DAS Vocal Groove Project, das Acapella-Sound samt etwas angestaubtem Image in neue Sphären katapultiert.
Was die Jungs mit ihren bloßen Stimmen schaffen, ist manchmal unglaublich: Seit 15 Jahren machen sie elektronische Musik, ohne auch nur ein Instrument zu benutzen. Solche Sounds, nur mit Stimmbändern, Mund und Mikrophon erzeugt? Kaum zu glauben.
Das Coverworkartwork ihres neuesten Werks "Signs" ist so schön schlicht und unauffällig gehalten, wie es die Attitüde der fünf Vokalisten um Frontmann Andreas Fraenzl ist. Extravaganz und glamouröse Auftritte sind ihnen fremd. Hier zählt nur der Sound. Und so versinnbildlichen die fünf Zeichen auf dem Cover diese angenehme Zurückhaltung auf besondere Art: "Signs" in Blindenschrift.
So heißt auch die erste Single-Auskopplung. Prophetisch mutet der Track an, er deutet auf Veränderung hin, die sich breit macht. "Are you ready to see the signs?" Sind wir! Wenn Leadvocalist Andreas Fraenzl dann noch provokant fragt, "Do you need a new messiah?", will man ihn gleich selbst an die Spitze einer neuen Bewegung sehen.
Mit der amerikanischen Spoken Word-Ikone Ursula Rucker und dem französischen Beatboxer Tez, der schon mit CocoRosie Europa betourte, haben sich Bauchklang zwei pasende und große Feature-Fische an Land gezogen.
"Toil In Your Field" knüpft an die messianische Stimmung an: Rucker singt von Selbstzweifeln, vom Kampf um Rechtschaffenheit, von dem Bedürfnis, angesichts der "crazy ass world" laut aufzuschreien - eine Kampfansage an die Ungerechtigkeiten dieser Welt und an die Menschen, die sie verursachen.
Wummernde Beats, druckvolle Bässe und fette Drums gibts bei "Come Along" und "Picture Of A Lie". Bei Letzterem holten Bauchklang neben Tez auch den Rap-Poeten Rouda aus Frankreich ins Boot. Die beiden machen aus dem Track eine schnarrende Hip Hop-Nummer. "Sometimes I wish I just could go blind too many images too many signs". Der rote Faden zieht sich geschmeidig durch die Songs wie die Tonnadel durch die Plattenrille.
"Got to get out of this" ist das Fazit, das Bauchklang in "Moneymachine" zu zischenden und wabernden Klängen ziehen. Kein Teil der Konsum- und Kriegsmaschine Gesellschaft wollen sie sein. Das TV-Gerät ausschalten und sich zur Abwechslung mal die Realität anschauen. Und aus den menschlichen Alltagsroutinen ausbrechen, in denen es Krieg und Tod nur im Fernsehprogramm gibt.
Bis mans nicht selbst gesehen hat, erstarrt man in Unglauben, wenn man weiß, dass Bauchklang Drums, Human Bass und Mouthpercussion ohne Hilfsmittel erzeugen. Dabei lebt die Einzigartigkeit des Projekts nicht allein davon, dass keine Instrumente im Spiel sind.
Besonders sind auch die Songwriterqualitäten, die Themen, die Melodien und Rhythmen, die Ausnahmeerscheinung des Quintetts zementieren. Aus Spielarten des HipHop, Rap, Dub und Elektro entstehen Klangwelten, die in ihrer hypnotischen Intensität fesseln.
Die neue Scheibe klingt elektronischer, energetischer, noch treibender. Die Haltung dabei ist eindeutig: Weitermachen. Auch wenn die Welt zum Kotzen ist. Gesellschaftskritik im Club.
International haben sich Bauchklang in Szenekreisen längst einen Namen gemacht. Der ungewöhnliche Sound und die beeindruckende Live-Performance bringt sie demnächst auf die andere Seite des Globus: Die Expo in Shanghai sieht Bauchklang gleich an drei Abenden hintereinander.
5 Kommentare
in solchen momenten ist man stolz österreicher zu sein
meine fresse, is das n geiles ding !
Es ist schon länger kein Geheimnis mehr: Österreich ist das bessere Deutschland - wenn nur der viele Schnee nicht wäre
Geiler Scheiß!
Trotz aller (offensichtlicher) Brillianz der Scheibe drängt sich mir persönlich die Frage auf: Warum Musik ohne Instrumente, wenn diese doch letztlich "eh nur" imitiert werden?
Beim Hören der Tracks würde mir bis auf ein paar Ausnahmen nicht auffallen, dass die Musik ohne Instrumente auskommt. Perfekte Nachbildungen von Scratches, Hihat, Bass usw. Für den reinen Hörer jedoch irrelevant. Auf das was rauskommt, kommt es ja an (auch wenn das in diesem Fall gelungen scheint).
Von dem Wissen, dass die Musik, die aus meinen Boxen kommt, Mündern entstammt, hab ich nix. Unabhängig von der Qualität.
Live mag das alles anders aussehen.