laut.de-Kritik
Nächstes Mal bitte mit Herzschrittmacher.
Review von Matthias MantheWarps neuestes Signing Stephen Wilkinson alias Bibio kommt mit wärmsten Empfehlungen von den Labelmates Chris Clark und Boards Of Canada. Letztere zählen seit Urzeiten zu den Idolen des Londoners, sie waren für die aktuell auf Mush Records abgeschlossene Albumtrilogie stilbildend. "Fi", "Hand Cranked" und "Vignetting The Compost" heißen die drei Werke, deren Low-Fidelity-Gitarren- und elektroakustischen Loop-Spielereien die Kritikerseite stets wohlwollend aufnahm.
Sukzessive hatte der Ein-Mann-Act dabei zum Folk-Lager tendiert, weshalb für den vierten Schlag eigentlich mit einer konsequenten Weiterführung des Handmakings zu rechnen war. Doch wie so häufig bedeutet der Wechsel der Plattenfirma einen Bruch im Schaffen des Künstlers. Offenbar spürt Bibio den Kreationsdruck der Warpschen Labelgenossen im Rücken, für die der Genre-Grenzübertritt oft selbstverständlich ist. Anstatt sich allerdings an der Synthese seiner hybriden Stilpfade zwischen Analog und Digital zu versuchen, gerät "Ambivalence Avenue" - welch passender Titel - zum leidlichen Multitasking.
"I don't believe in sticking to one thing", erklärt der Künstler, woraufhin der Pressetext assistierend hinzufügt: "This album can not actually be classfied. A diverse collection of music, each track (…) has a distinct identity and stands apart from the next." Was hier als postmodernes Pro-Eklektizismus-Argument dargeboten wird, ist in Wahrheit die Krankheit einer Entität, in der die Herzen von wenigstens vier Langspielern schlagen – jedes für sich und selten im Gleichtakt.
Da wäre zuvorderst ein Vintage-Psychefolk (Simon & Garfunkel, Beach Boys), der gelegentlich in die, nun ja, Retro-Moderne eines Devendra Banhart schielt. Wenn Wilkinson wie in "Haikuesque" so richtig die Herzmuskeln spielen lässt, rekurriert er gar auf Apostle Of Hustle oder Do Make Say Think: wahrlich große Lagerfeuer-Poesie. Zum zweiten wird zwischen Folksongs und –skizzen den Warp-Kollegen Tribut gezollt. In "Dwrcan" knickst der Brite vor Boards Of Canada, während "Sugarette" täuschend echt die mit 8-Bit-Bröckeln jonglierenden Battles inszeniert.
Dieser elektronisch bemalte Spielplatz schließt nicht ganz nahtlos an das Bedürfnis an, zum Sparten-Spagat auch noch persönliche Neuentdeckungen der letzten zwei Jahre hinzuzuaddieren: Der Alternative-Hip Hop-Track "Fire Ant" scheint ohne Talib Kweli, Madlib und J Dilla im Geiste nicht denkbar. Das vierte Herz der Platte schlägt wiederum für Field Recordings sowie Found Sounds, die Bibios musikalische Herangehensweise prägen, seit er als präpubertärer Junge mit dem Karaoke-Mikrofon in den Wald ging.
Aus der Liebe sowohl zum Geräusch als auch zur Harmonie-Vielfalt ungleicher Genres ergibt sich für ihn die Notwendigkeit, zwischen experimenteller Elektronik, Folk und Hip Hop keinen Unterschied zu machen. Die Passionen möglichst komplett abzubilden, hat Priorität. Resultat ist ein Album, das mit schönen und interessanten Songs aufwartet. Bloß hat man wegen des ständigen Stil-Hoppings in der Mitte das Gehörte bereits wieder vergessen. Nächstes Mal also bitte mit Herzschrittmacher.
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