laut.de-Kritik
Das Schiff wird schon nicht kentern.
Review von Dani FrommEr hätte es sich so, so einfach machen können. Die Welle, die er mit "Wiener Schickeria" selbst losgetreten hat, hätte ihn schon noch ein bisschen weitergetragen. Er hätte sie reiten, der österreichischen Kapitale ein paar weitere in Koks und Spritzwein marinierte Oden schreiben und sich in seinem Falco-Cosplay einigeln können. In der Rolle, die er so smooth wie vor ihm lange keiner mehr mit Leben gefüllt hat. Wenn überhaupt irgendjemand.
Man kann Bibiza gar nicht hoch genug anrechnen, dass er diesen sicheren Pfad links liegen gelassen und aus "Bis Einer Weint" eben kein "Wiener Schickeria 2" gemacht hat. Statt sich erneut auf Weltschmerz, Großmäuligkeit und Substanzen durchs Wiener Nachtleben treiben zu lassen, zieht er diesmal die Perspektive weit auf, nimmt größere Zusammenhänge in den Blick und wagt inhaltlich wie musikalisch eine ganze Reihe an Experimenten.
Natürlich gelingen die unterschiedlich gut, weswegen diesem Album eine kritischere Vorauswahl wirklich zupass gekommen wäre. "Bis Einer Weint" wäre schon arg lang geraten, wenn wirklich jeder der 21 Tracks ins Schwarze getroffen hätte. Ganz sicher hätte diese Platte runder gewirkt, ohne Totalausfälle wie diese komische Strandparty-Rock'n'Roll-Nummer "Salamander & Chamäleons" oder das im Kontext, als Intro zu "Donau", zwar logische, dennoch komplett verzichtbare Intermezzo "Die Donauwalze".
Das war im Wesentlichen aber schon alles, das es an "Bis Einer Weint" zu bekritteln gibt. Klar holt Bibiza die Fans von Hans Hölzel, die ihm wahrscheinlich sämtlich aus den Händen fressen, auch wieder ab. Mit "Check In / Check Out" etwa, durch das der Bass in bester Chic-Tradition pluckert und das im Refrain Spuren von "Get Lucky" enthalten könnte. Oder, schon vorher, mit den ähnlich groovy geratenen Synthies von "Aufnimmawiedaschaun", durch die ebenfalls die typische Wiener Melancholie plätschert.
Dass man sich in der dortigen Schickeria allzu leicht einen "Discoschnupfen" einfängt: ebenfalls nicht sehr verwunderlich. Solche Nummern hat von Bibiza wahrscheinlich jede*r erwartet. Aber einen waschechten Rock-Track wie "Wunschkonzert"? Rock'n'Roll-Gedengel wie in "Die Rechnung Kommt"? Einen radiotauglichen Popsong wie "Tanzen" oder, gen Ende der Tracklist, Rap zu Akustikgitarren, zu denen man eigentlich sofort einen Wiener Walzer aufs Parkett legen könnte, wenn man doch nur wüsste, wie!? Diese Bandbreite hab' ich, ehrlich, nicht kommen sehen.
Noch mehr verblüfft hat mich Bibiza damit, welche inhaltlichen Fässer er da aufmacht. Ich weiß gar nicht genau, warum ich ihm das nicht zugetraut hatte. Irgendwie muss ich nach dem Erfolg der letzten Platte wohl unterbewusst damit gerechnet haben, dass nun dieses übliche Nachfolgewerk kommt, auf dem der Protagonist selbstmitleidig über die Kehrseiten des frisch errungenen Ruhms lamentiert.
Klar, das macht Bibiza auch hier und da. Es erschiene ja auch irgendwie unaufrichtig, wenn eine*r so tun würde, als tangierten einen der Erfolg und die Rastlosig- und Einsamkeit, die er mit sich bringt, so überhaupt nicht. Der Wiener macht allerdings kein abend- respektive albumfüllendes Thema daraus. Ihn treiben beim Blick auf das Weltgeschehen andere Sorgen um, größere als das eigene Ego.
Er illustriert den Klimawandel anhand steigender Pegelstände der "Donau". In "Luxusparese" Europas bis zur Unmenschlichkeit mitleidlose Abschottungspolitik und die elende Wegschau-Mentalität aufs Tapet: "Das Schiff wird schon nicht kentern. Falls etwa doch, dann gib die Schuld halt den Ausländern." Dass mit weltweit mehr und mehr durchgeknallten Narzissten an den Schaltstellen der Macht ein Szenario, wie es "Der Mann Mit Der Glatze" beschreibt, nur eine Frage der Zeit ist, klammert Bibiza ebenfalls nicht aus.
Auf den Trümmern seines schönen, wahlweise abgesoffenen oder plattgebombten Wiens lädt er dann wieder zum Totentanz, man ist schließlich immer noch "Kaputt Aber Geil". Gen Ende des Albums beruhigt sich der getriebene Ton, der Gastgeber betreibt noch einige Songs lang Beziehungsanalyse, ehe er sich mit einem "Gute Nacht" in selbige verabschiedet, mit einem weiteren, langsamen Walzer zum Rausschwofen. Fazit: "Wir sind unsterblich, bis einer weint."
Gründe zum Weinen gibt es, wie wir gesehen haben, reichlich, diese Platte und ihr Urheber gehören nicht dazu. Im Gegenteil: Ein junger Mensch macht es sich nicht halb so bequem, wie er könnte. Er geht das Risiko ein, sich bei denen, die einfache Antworten auf komplexe Fragen verlangen, in die Nesseln zu setzen, spricht unbeliebte Themen an, und am Ende kommen größtenteils arschcoole Tracks dabei heraus. Wenn das keine Hoffnung macht: Was dann?
6 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 22 Stunden durch den Autor entfernt.
Unfassbar vielseitig, enorm talentiert. Macht wirklich 21 Tracks lang Spass. 4.5/5
Beim ersten hören dacht ich noch: das war nix. Platte wird bis auf ein paar Ausreißer von mal zu mal besser, 15 Songs hättens wohl auch getan... insgesamt aber ziemlich gut!
Dieser Kommentar wurde vor 15 Stunden durch den Autor entfernt.
5/5 einfach enorm geil.
Es Lebe der Spritzwein, danke an den Interpreten, endlich mal was neuese, freches!