laut.de-Kritik
Der Durchbruch der Janis Joplin.
Review von Giuliano BenassiLiebe auf den ersten Blick war es nicht, als Janis Joplin 1966 bei Big Brother & The Holding Company vorsprach. Auf der einen Seite stand eine 23-Jährige aus Texas mit einer Vorliebe für Rhythm And Blues und Country, auf der anderen eine Rock-Band, die sich mit eher wüsten Instrumentals in der aufblühenden Hippie-Szene San Franciscos einen Namen gemacht hatte.
Für Joplin war es so etwas wie der letzte Strohhalm, um doch noch mit Musik ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ihr erster Versuch in der Stadt am Pazifik war 1963 an einer schweren Drogensucht gescheitert, die sie fast ins Grab gebracht hatte. Die älteren Mitglieder der Band waren zunächst deshalb auch wie größere Brüder, die sie von den weit verbreiteten Versuchungen schützen sollten.
Die herausragenden Merkmale der neuen Sängerin waren ihre Reibeisenstimme und die Fähigkeit, so unglaublich viele Gefühle in sie zu legen, dass sie das Publikum regelrecht bezirzte. Gespielt war das nicht: Als Jugendliche war Janis eine Außenseiterin, die wenige Freunde hatte. Bevor sie zum ersten Mal nach San Francisco zog, hatte sie eine Burschenschaft an der Universität in Austin zum "hässlichsten Mann auf dem Campus" gewählt. Eine Wunde, die eine tiefe Narbe hinterließ.
Musikalisch dauerte es eine Weile, bis Band und Sängerin zusammenfanden, doch spätestens nach ihrem Auftritt beim Monterey Pop Festival im Juni 1967 waren sie eine große Nummer. Joplin nahm kein Blatt vor den Mund, ließ keine Party aus und wurde auf ihre Art zum Sex-Symbol. Der überwältigte Gesichtsausdruck von Mama Cass Elliott, die Sängerin der erfolgreichen Mamas & Papas, die im Publikum saß, sprach Bände.
Nach einen mauen, kaum beachteten Debüt für ein kleines Label aus Chicago unterschrieb die Band einen Plattenvertrag bei Clive Davis und Columbia. Es war ein großer Schritt, doch es erwies sich als schwierig, die Energie und die Stimme von Band und Sängerin einzufangen. Es lag auf der Hand, einen Liveauftritt aufzuzeichnen, doch das Ergebnis war nicht so explosiv wie erwünscht. Plan B: Studioaufnahmen mit Publikumsgeräuschen aus der Konserve zu ergänzen.
Die Sessions zogen sich im Frühjahr 1968 über fast drei Monate hin und sorgten allerseits für Unzufriedenheit. Davis und Produzent John Simon waren wenig angetan von der Band, die aus ihrer Sicht technisch zu limitiert war. Der Star blieb Joplin. Doch der Versuch, sie von ihrer Begleitung loszueisen, scheiterte - noch.
Zum Glück, denn "Cheap Thrills" schlug im August 1968 ein wie eine Bombe und blieb für acht Wochen auf Platz 1 der US-Charts. Ein Ergebnis, das umso sensationeller wirkt, wenn man bedenkt, dass Beatles und Rolling Stones noch im selben Jahr das "White Album" und "Beggars Banquet" veröffentlichten.
Den Reiz der Platte macht noch heute der Kontrast zwischen Joplins beeindruckender Hobelstimme und der raubeinigen Begleitung aus. Letztere konnte auch mal leiser, etwa in George Gershwins "Summertime" und Big Mama Thorntons "Ball And Chain", auch wenn das eher fröhliche (zumindest aus musikalischer Hinsicht) "Piece Of My Heart" zum größten Hit avancierte.
Zum 50. Jubiläum erscheint nun ausnahmsweise nicht das neu abgemischte Originalalbum, sondern die vorliegende Sammlung an alternativen Versionen, die den ursprünglich geplanten Namen tragen: Der Teil mit Sex und Drogen gefiel den Verantwortlichen bei Columbia nicht, weshalb 1968 nur die billigen Kicks übrig blieben.
Schwierig wurde es auch beim Cover. Joplin hatte sich ein Foto der Band gewünscht, wie sie gemeinsam nackt im Bett liegt. Die Fotosession war jedoch zu verkrampft, was sich auf das Ergebnis auswirkte. Also verpflichtete das Label Starfotografen Richard Avedon, der sie starmäßig in Szene setzte. Auch unpassend. Den Zuschlag erhielt schließlich ein noch wenig bekannter Comic-Zeichner aus San Francisco, Robert Crumb, der für die Frontseite eine illustrierte Fotomontage der Band erstellte und für die Rückseite Abbildungen zu den einzelnen Stücken.
Die Rückseite wurde schließlich zur Frontseite - und zu einem der berühmtesten Cover überhaupt. Da sich die Tracklist noch änderte und ein Stück wegfiel, war jedoch ein Bild übrig, schreibt Schlagzeuger Dave Getz in den Liner Notes. Den Titel ersetzte der Gestalter bei Columbia mit "Art: R. Crumb", womit der später legendäre Zeichner als Turban tragender Flötenspieler mit Moschee im Hintergrund in Erinnerung bleibt.
Das Stück, ein kurze wie wüste Angelegenheit mit dem Titel "Harry" (das übrigens gar nichts mit Moscheen und Turbanen zu tun hat), ist hier zu hören, ebenso wie die bereits bekannten Tracks des Albums. So ganz Unrecht hatten die Verantwortlichen nicht, als sie sich mit den Musikern an den Instrumenten unzufrieden gaben, denn ihre technischen Grenzen zeigen sie regelmäßig auf. Gut zu hören in Take 1 von "Summertime", bei dem Joplin wie gewohnt eine Wahnsinnsvorstellung bietet, während ihre Begleitung zum Schluss den Faden verliert.
Im Nachhinein hätte es tatsächlich eher Sinn gemacht, die Band bei mehreren Auftritten aufzunehmen, denn offenbar brauchte sie ein Publikum, um richtig zu funktionieren, wie "Ball And Chain" beweist, das auch im Original live aufgenommen und im Studio überarbeitet worden war. Doch waren Livemitschnitte damals noch nicht sonderlich verbreitet, da die Technik abseits der Studios primitiv war und Auftritte eher als Promo für das neue Album durchgezogen wurden. Bezeichnenderweise veröffentlichten die Beatles zu Lebzeiten kein Livealbum, und das der Rolling Stones ("Got Live If You Want It!", 1966) ist auf CD nur einmal, 2002, erschienen. Nicht weiter verwunderlich, wenn man es sich mal angehört hat.
"Sex, Dope And Cheap Thrills" ist dagegen eine lohnenswerte Anschaffung. Interessanterweise bietet die Vinyl-Version zum Teil andere Takes als die Doppel-CD. Lesenswert fallen die ausführlichen Begleittexte aus. Grace Slick von Jefferson Airplane, die zeitgleich mit Joplin ein neues, selbstbewussteres Bild der Frau repräsentierte, erinnert sich an das erste Treffen. "Endlich eine Frau, die keine Angst hatte, derb aufzutreten. Und Hartes aus einer Flasche trank, die sie in ihrer Handtasche bei sich trug. Kein Glas - wer sollte es spülen? Ihr Favorit war Bourbon, meiner Wodka".
Getz verrät unter anderem auch, was mit den Originalzeichnungen Crumbs geschah. Nachdem sie bei Columbia spurlos verschwunden waren, bot sie das Aktionshaus Sotheby's 1980 zur Versteigerung an. Mittlerweile gehören sie dem CEO von Nike, der sie bei einer späteren Versteigerung für 250.000 Dollar erstand. "Es hängt in seinem Büro, ein Gegenstand, von dem ich weiß, dass er Diebesgut ist. Vermutlich kennt er diese Geschichte nicht, wahrscheinlich ist sie ihm auch egal", so Getz.
Probleme mit dem Establishment hat er also auch heute noch. Mit Joplin scheint er dagegen seinen Frieden geschlossen zu haben, auch wenn sie seine Band kurz nach der Veröffentlichung des Albums im Stich ließ, um ihre Karriere unter eigenem Namen fortzusetzen. Um Big Brother wurde es danach rasch still. Auf Columbia veröffentlichten sie zwei weitere Platten, bevor sie zu Beginn der 1970er Jahre auseinanderfielen. Seit 1987 sind sie wieder mit wechselnden Sängerinnen unterwegs.
Joplin nahm Gitarrist Sam Andres mit und stellte eine maßgeschneiderte Begleitband zusammen. Mit verheerenden Folgen: Ohne die Kontrolle ihrer alten Mitstreiter stürzte sie sich in Drogen und Alkohol. Zwar versuchte sie, sich erst nach den Auftritten einen Schuss zu setzen, doch die Strategie ging beim chaotischen wie legendären Woodstock-Festival nicht auf. Völlig zugedröhnt trat sie auf die Bühne und war weit von ihrer Bestform entfernt.
Joplin rappelte sich noch einmal auf, lernte in Brasilien ihre große Liebe kennen und arbeitete mit neuer Band an ihrem zweiten Soloalbum, als sie sich, eigentlich clean, am 4. Oktober 1970 den fatalen letzten Schuss setzte. Seit dem Durchbruch mit "Cheap Thrills" waren gerade mal zwei Jahre vergangen.
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