laut.de-Kritik
Mit stimmungsvollem Ambient ins Kentucky der 1920er-Jahre.
Review von Toni HennigGeir Jenssen alias Biosphere legte vor zwei Jahren mit "Inland Delta" eine recht ruhige Platte vor. Nun betont der Norweger auf "The Way Of Time" wieder mehr seine rhythmischen Qualitäten, geht aber den analogen Weg, den er 2022 auf "Shortwave Memories" wieder eingeschlagen hatte, konsequent weiter.
Auf der Scheibe greift er Passagen aus Elizabeth Madox Roberts Coming of Age-Roman "The Time Of Man" von 1926 auf, der von einer armen, weißen Frau namens Ellen Chesser handelt, die zu der Zeit in Kentucky lebt, und bindet Samples aus einer Hörspielfassung des Buches aus den frühen 50er-Jahren, gesprochen von der Schauspielerin Joan Lorring, in die Tracks ein.
"Time Of Man" knüpft mit auf- und abebbenden modularen Sounds und Synthies, die sich immer wieder atmosphärisch nach vorne schieben, an die zurückgenommene Ausrichtung des Vorgängers an, so dass die helle, schon fast ein wenig süßlich anmutende Stimme Lorrings, ergänzt um Naturgeräusche, in den Mittelpunkt rückt. Das Titelstück versprüht mit seiner gedämpften Grundausrichtung viel Southern Gothic-Flair und schlägt mit tranciger Elektronik und einem nachdenklichen, sich stets wiederholenden Sample eine hypnotischere Richtung ein. "Like The End Of The World" knüpft atmosphärisch daran an, dringt jedoch rhythmisch in trippigere, dubbigere Gefilde vor.
Höhepunkt bildet "All Stars Have Names", in dem Ellen Chesser zu spacigen Ambient House-Tönen, die an die Frühwerke Biospheres wie "Microgravity" oder "Patashnik" erinnern, melancholisch in den Himmel blickt und feststellt: "I wonder how deep the sky is." Mehr düstere Qualitäten entfaltet "The Old Way Was Gone", das mit seinen ätherischen Synthie-Streichern auch gut einen David Lynch-Film untermalen könnte. "The Way Of Time (On And On)" greift dann das Titelstück wieder auf, fügt aber, abgesehen vom etwas kühleren, mehr an Kraftwerk angelehnten Grundgerüst, dem Ausgangsmaterial rein gar nichts Neues hinzu.
So bleibt ein Werk, dem man eine gewisse Spiritualität und einen hypnotischen Effekt nicht absprechen kann, dem es aber am letzten Feinschliff mangelt, um es mit Alben wie "Substrata" oder auch "Shortwave Memories" aufnehmen zu können. Gerade so eine vielfältige und stimmungsvolle Ambient-Platte wie diese hätte ein weniger liebloseres Ende verdient gehabt.
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