laut.de-Kritik

Der Bubblegum, vor dem die Hipster euch gewarnt haben.

Review von

Fangen wir diese Review mit einem generellen Tipp an: Ob ihr K-Pop hört, keinen K-Pop hört, Blackpink mögt, Blackpink nicht mögt - wenn ihr irgendwo online Leute über Blackpink diskutieren seht, dann rennt. Es führt zu nichts. Die derzeit größte Girlgroup der Welt bringt diskursiv nicht nur regelmäßig das Schlechteste aus Leuten hervor, es ist im Grunde auch komplett nutzlos. Die Musik von Blackpink ist so archetypisch, dass sie wieder ziemlich einzigartig ist. Sie zielt so geradeheraus auf das menschliche Echsenhirn, dass die Mögen-nicht-Mögen-Entscheidung nach 30 Sekunden irrational aus dem Unterbewusstsein schießt.

Deswegen gehorchen all ihre Lead-Singles seit dem musikalischen Artilleriegeschütz "Ddu-Du Ddu-Du" vor fünf Jahren einer vorhersehbaren Formel. Trap-Beat, Rap-Strophen, melodramatischer Pre-Chorus, Drop als Refrain und dann hintenraus noch einmal ein elektronisches Crescendo. "Pink Venom" heißt dieses Mal der Vertreter dieser Song-Gattung und unterwandert die Erwartung an den malmenden Drop überraschenderweise mit einem luftigen Vocal-Chorus, der sich über die Hörerschaft in seiner Leichtigkeit fast lustig zu machen scheint. Aber er bleibt im Ohr, die "Ra-ta-ta-tas" am Ende bilden nicht ihr liebevollstes Finale, aber erfüllen den Zweck, die Hommage an einen Oldschool-Rap-Beat im zweiten Verse gibt liebenswürdiges Camp.

Liebenswürdiges Camp gibt auch der Title "Shut Down", der sich auf dem Sample einer Liszt-Etüde aufbaut und in der schicken Trap-Produktion von Stammproduzent Teddy zu einem "7 Rings"-esken Song entwickelt. Es ist kein sofortig einschlägiger Track wie "Lovesick Girls", aber vermutlich einer von denen, die sich im Playlist-Zeitalter ewig halten werden. Ein dritter Single-Kandidat wäre mit "Yeah Yeah Yeah" auch gleich darauf gefunden. Blackpink auf stimmungsvolle Disco-Produktion zu setzen, funktioniert so gut, dass man sich fragt, warum sie auf diesen Trend nicht von Anfang an aufgesprungen sind. All das nimmt Pop-Einheitsbrei-Formeln und packt sie auf Steroide. Die Songs wissen, wie man Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das in seiner Vielseitigkeit gleichwertig kompetente Quartett füllt jeden möglichen Moment mit so viel Farbe und Persönlichkeit, wie es nur geht. Jeder Beat ist auf sein stampfendes Maximum gedreht. Blackpink ist artverwandt mit Britney Spears um 2000. Sie haben sich gänzlich der Kunst des Ohrwurms verschrieben. Pop um jeden Preis.

Generell scheint "Born Pink" dem Vorgänger "The Album" voraus zu haben, dass die B-Seiten statt für halbgare TikTok-Experimentiererein dafür genutzt werden, die Zehen in andere Pools zu tunken. Das Rosé-Solo "Hard To Love" holt über Gitarren-lastigen Pop-Groove die besten Taylor Swift-Assoziationen aus ihrer Stimme. "Tally" nimmt einen Beat, der wie ein etwas zu schwülstiges, sauberes Emo-Trap-Instrumental klingt, und lässt das Quartett in alle Richtungen fluchen und treten. Das ist für koreanische Gruppen schon nicht typisch, dass sie dazu geradezu Dinge mit Substanz sagen, schlägt dem noch den Boden aus: "Sometimes I like to go play dirty / Just like all of the fuck boys do / That's my choice and there's no one I'm hurting / And that's not girly" klingt für uns nicht revolutionär. Aber diese Absage an Slutshaming macht sie in einem Land, in dem Fans noch vor nicht langer Zeit Fotos einer Sängerin verbrannten, weil die mit einem vermeintlich feministischen Roman in der Hand gesichtet wurde, zu einer Ausnahme.

Alle Hoffnungen werden trotzdem nicht erfüllt: Genau wie vom Vorgänger "The Album" darf man von "Born Pink" kein so richtiges richtiges Album-Statement erwarten. Es ist trotz der LP-Ausweisung doch ein glorifiziertes K-Pop-Mini, dementsprechend bleibt eine wirkliche Erkundung der Möglichkeiten, die sie aus ihrem grundlegendem Sound ableiten könnten, weiterhin aus. Die Ballade "Happiest Girl" klingt wie eine sehr große Ballade, der Rap-Track "Typa Girl" klingt wie typischer Fashionista-Rap, "Ready To Love" hört mit Teeniebopper-Electropop auf. Die Songs klingen allesamt gut bis sehr gut, aber widersetzen sich kein bisschen der Fantasie davon, wie Blackpink in diesen Elementen klingen würden. Irgendwie merkt man oft, dass zwischen Singles und B-Seiten Budget und Herzblut ungleich verteilt waren.

Aber trotzdem liegt da etwas Komfortables in "Born Pink". Mehr als andere K-Pop-Gruppen waren Blackpink dem gewaltigen Gewicht unfairer Erwartungen von allen Seiten darüber ausgesetzt, was sie nun sind, sein könnten oder zu sein haben. Und gerade als riesiger K-Pop-Export überhaupt stehen sie in der schrägen Position, dass sie nach außen hin gleichzeitig anders und verträglich sein müssen, während sich Fans von weiter innerhalb im Genre gern von ihrer Einstiegsdroge abwenden. So kommt es von beiden Seiten des K-Pop-Wurmlochs vielen Leuten so vor, als wäre Blackpink nun ein seit Jahren dauerhaft ausstrahlender Trailer für sich selbst, dem nun doch nichts folgt.

Aber "Born Pink" zerstreut diese Angst, und im Grunde macht er das auf die klügste Art und Weise, mit der man damit umgehen könnte. Auf den Vorwurf, oberflächlich oder Influencer oder Barbie-Puppen zu sein, antworten sie mit einem achselzuckelnden 'Kann schon sein'. Denn sie haben eine wundervolle Zeit dabei. "Born Pink" kommt wie Blackpinks beste Momente zu einhundert Prozent über das Charisma, über die Fähigkeit, sich musikalisch eigentlich jeden Hut aufziehen zu können und darin großartig auszusehen. Im Grunde zeigt schon dieser aggressiv spöttische Refrain auf "Pink Venom", was hier die Kernthese ist: Ja, das hier ist das knallpinke Bubblegum, vor dem die Musikhipster euch gewarnt haben. Und es schämt sich kein bisschen, das zu sein. Es ist girly, aufgebrezelt, ignoriert Tiefgang, tönt laut und geht bretthart. Blackpink wurden in die Rolle geboren, ein Popmusik-Archetyp zu sein. Und sie liefern.

Trackliste

  1. 1. Pink Venom
  2. 2. Shut Down
  3. 3. Typa Girl
  4. 4. Yeah Yeah Yeah
  5. 5. Hard To Love
  6. 6. The Happiest Girl
  7. 7. Tally
  8. 8. Ready For Love

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5 Kommentare mit 15 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Richtig miese erste Hälfte, zweite Hälfte ist dann schon besser. 'Happiest girl' der einzige Ausreißer und mit Abstand der beste Song, 'Tally' auch cool. Der Rest Schema F, ich mag sie aber insgesamt kein guter Output.

    • Vor 2 Jahren

      Bin mir ganz das Gegenteil: die zwei ersten Tracks (beide Singles) sind Übersongs, die ganzen B-Seiten sind nur schwache Filler, wie bei jedem Blackpink-Album. Happiest Girl hätten sie sich echt sparen können, HArd to Love is ein Rosé-Solo, dass hier auch fehl am Platz ist, der letzte Track ist ein Werbe-Song für ein Videospiel. Bin sogar für Blackpink-Verhältnisse enttäuscht.

  • Vor 2 Jahren

    "Die Musik von Blackpink ist so archetypisch, dass sie wieder ziemlich einzigartig ist."

    "Auf den Vorwurf, oberflächlich oder Influencer oder Barbie-Puppen zu sein, antworten sie mit einem achselzuckelnden 'Kann schon sein'. Denn sie haben eine wundervolle Zeit dabei."

    "Blackpink wurden in die Rolle geboren, ein Popmusik-Archetyp zu sein. Und sie liefern."

    Ich weiß ja nicht. Für mich liest sich das ein bisschen so, als müsste man für sich selbst rechtfertigen, warum eine Band, die selbst für K-Pop-Verhältnisse unglaublich generisch, schematisch und substanzlos daherkommt dann doch den ikonischen Status, den sie innehat, verdient. Anstatt halt einfach anzuerkennen, das selbst in Subgenres der generische Schund letztlich an der Oberfläche landet.

    Möchte dabei nicht einmal abstreiten, dass die vier Mädels zumindest versuchen das beste aus ihrer Situation und ihrem Level an musikalischen Können machen und die volle Breitseite Pop-Attitüde anstelle irgendeines pseudo deepen Hohe-Kunst-Ansatz dann doch tendenziell die sypathischere Variante des Ganzen ist.
    Aber am Ende des Tages bleibt's damn halt doch irgendwie hauptsächlich Schemata abarbeitender fremdgesteuerter Müll, der musikalisch kaum etwas zu bieten hat. Und die ganzen Verrenkungen drum herum, warum genau das dann irgendwie gleichzeitig auch Qualitätsmerkmal sein soll, finde ich dann doch schon irgendwie ziemlich deprimierend.

  • Vor 2 Jahren

    Ist es zu früh und angesichts der Tatsache, daß hier kaum mehr automatisch über die Körper der "Künstlerinnen" diskutiert wird, sobald ein weiblicher Act auftaucht, noch zu schön, um genau diese Diskussion ironisch und entsprechend kathartisch anzustoßen? Wäre genau die flache Ebene, auf der "Blackpink" (oder von mir aus K-Pop allgemein) angemessen besprochen werden könnte.

  • Vor 2 Jahren

    Mensch, Yannik! Nach den berechtigten wie schön geschriebenen Verrissen von Clowns wie Cro und Kontra K musste ja wieder eine neue Folge "Gölz schraubt sich drölf Metaebenen zurecht um generischen Schmutz feiern zu können" kommen.

    • Vor 2 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 2 Jahren

      Diejenigen Metaebenen, auf denen du dich regelmäßig ganz alleine tummelst, nennt mensch landläufig "Psychose". Gilt i.Ü. auch für andere irdische Spezies, real und insbesondere imaginativ, wollte ich auch dem Einhorn neulich schon stecken.

  • Vor einem Jahr

    Am Ende des Tages sind es 4 hübsche Asiatinnen die man sich gern anschaut. Keine Sau interessiert sich für die "Musik". Für mich ist die Daseinsberechtigung damit gegeben. :)