laut.de-Kritik

Als die Milchtüten das Laufen lernten ...

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Für einen Rezensenten des Jahrgangs 1975 liegt es jenseits der Vorstellungskraft, aber es soll sie geben: Menschen, die mit den Gorillaz und nicht mit Blur aufgewachsen sind. Jene dürfen sich nun von Mastermind Damon Albarn an der Hand durch den 25 Song starken "Beginner's Guide To Blur" führen lassen.

Hinein in eine Zeit, als seine erste Band entscheidend mithalf, das Genre-Etikett Britpop (neu) zu erfinden und wo als Vorgeschmack auf spätere Animationskunst immerhin schon Milchtüten das Laufen lernten.

An der aufgebotenen Songpalette ist bis auf den Verzicht einer chronologischen Reihenfolge eigentlich nichts auszusetzen. Als Doppel-CD konzipiert, ergibt sie sicher mehr Sinn als der Best Of-Vorgänger von 2000, an dem die Band seinerzeit kein Mitspracherecht hatte und sie um die Integration des damals neuen Songs "Music Is My Radar" kämpfen musste.

Dass der nachgewachsenen Pop-Hörerschaft nun Blur-Singles wie "Country House" und "End Of The Century" vorenthalten werden, ist nicht sonderlich schlimm, da hinterlässt das Ausbleiben des Frühjuwels "There's No Other Way" schon eine größere Lücke.

Dafür wird auf "Midlife" endlich das maßlos unterschätzte zweite Blur-Album "Modern Life Is Rubbish" von 1992 adäquat gewürdigt. "For Tomorrow" (in der sechsminütigen Version), "Chemical World" und die Albumtracks "Advert" und "Blue Jeans" lassen die damaligen Label-Verantwortlichen, welche der Band anhand der neuen Songs "künstlerischen Selbstmord" prophezeiten, wie einen Haufen Vollidioten dastehen.

In Wahrheit präsentierten sich Blur hier - trotz toller Singles vom "Leisure"-Debüt - erstmals als Albumband und legten den Grundstein für ihre thematische England-Trilogie, die von den Alben "Parklife" (1994) und "The Great Escape" (1995) komplettiert wurde.

Mit letzterem Werk setzte Mitte des Jahrzehnts auf der Insel ein bis heute nicht getoppter Medienfeldzug ein, der die zwei vorgeblichen Königreichretter Blur und Oasis gegeneinander auszuspielen suchte und dank redefreudiger Protagonisten tatsächlich monatelang die Schlagzeilen bestimmte. In Deutschland bekamen das jedoch nur Szenechecker mit, auf hiesigen Studentenfeten tanzte man noch 1998 auf "Girls & Boys".

Der "Beginner's Guide" achtet außerdem sorgsam darauf, dass weder die zarten Gesangsversuche von Gitarrist Coxon ("Coffee & TV", "Tender") zu kurz kommen, noch die ab 1997 einsetzende, experimentelle Seite der Band. Beeinflusst von amerikanischen Indie-Bands wie Pavement markierte das "Blur"-Album eine radikale, soundtechnische Wende.

Die einzelnen Entwicklungsstufen zunehmend erratischer Psychedelic-Stücke ist hier von "Strange News From Another Star" über "Trimm Trabb" bis hin zu "Battery In Your Leg" sehr schön nachzuvollziehen. Derweil belegt die überraschende Hinzunahme des '95er Albumtracks "He Thought Of Cars", dass sich das Blur'sche Divergenzverhältnis Hit/Anti-Hit bereits zu ihrer Pop-Hochphase andeutete.

So leistet "Midlife" enorme Dienste, um einer neuen Generation die facettenreiche Karriere einer Band nachzuzeichnen, die für viele vor allem "die Typen mit 'Song 2'" geblieben ist. Oder eben "Albarns andere Band vor den Gorillaz". Der eingeweihte Rest darf sich anlässlich jüngster Auftritte die Augen reiben: Frisch rasiert und im engen T-Shirt sieht Damon Albarn fast wieder so jung aus wie damals.

Trackliste

CD1

  1. 1. Beetlebum
  2. 2. Girls & Boys
  3. 3. For Tomorrow
  4. 4. Coffee & TV
  5. 5. Out Of Time
  6. 6. Blue Jeans
  7. 7. Song 2
  8. 8. Bugman
  9. 9. He Thought Of Cars
  10. 10. Death Of A Party
  11. 11. The Universal
  12. 12. Sing
  13. 13. This Is A Low

CD2

  1. 1. Tender
  2. 2. She's So High
  3. 3. Chemical World
  4. 4. Good Song
  5. 5. Parklife
  6. 6. Advert
  7. 7. Popscene
  8. 8. Stereotypes
  9. 9. Trimm Trabb
  10. 10. Badhead
  11. 11. Strange News From Another Star
  12. 12. Battery In Your Leg

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