laut.de-Kritik
Sonnige Midtempo-Groover voller Sehnsucht und Optimismus.
Review von Stefan JohannesbergMein Vater war Bob Seger. Er rollte über die dänischen Bundesstraßen, als wäre es der Highway 76. Der Bart dichter als das Dünengras, der orangefarbene Renault 4 schaukelte unter den Sturmböen, und aus dem Kassettendeck tönte Bobs elftes Album "Against The Wind" - auf einer TDK in Dauerschleife. Während draußen erste Regentropfen gegen die Autoscheibe pochen, wärmt, treibt und schützt Segers Stimme die Mitfahrer:innen, ummantelt sie mit kraftvoller Tiefe und melancholischer Nachdenklichkeit.
Knarzige Rock'n'Roller wechseln sich mit klaviergetriebenen Midtempo-Tracks ab. Segers ureigene Silver-Bullet Band um Könner wie Saxophonist Chris Campbell webt zusammen mit der Studiotruppe der Muscle Shoals Rhythm Section um Gitarrist Pete Carr 1980 ein enges Gewand aus Bass, Piano, Drums und Gitarre. Dank der Zusammenarbeit auf den beiden erfolgreichen Vorgängern "Stranger in Town" und "Night Moves" wissen alle blind, was Bob Seger für seine mal kehlig-gebellten, mal rau-sanften Vocals braucht.
In Anlehnung an Segers Wurzeln in den 60ern und 70ern rocken und twisten "Horizontal Bop", "Long Twin Silver Line" und "Bett Lou's Gettin' Out Tonight", dass sich die Finger am Steuer wund trommeln und die Scheibenwischen im Rhythmus shaken. Let the good times roll, Nordsee, here we come.
Kritiker und Fans der ersten Stunde äußern sich jedoch enttäuscht über jenes Song-Trio. Zu wenig Power, nur ein Abklatsch alter Lieder, die Erfolge der letzten beiden Alben hätten ihn satt gemacht, so lauten die Vorwürfe – und nicht zu Unrecht. Keiner der beschriebenen drei Songs reicht an "Old Time Rock'n'Roll" heran, das - erschienen auf "Stranger In Town" – 2001 von der RIAA (Recording Industry Association of America) in Zusammenarbeit mit Organisationen aus Kultur und Bildung zu einem der größten Hits des Jahrhunderts gekürt worden war und noch 40 Jahre später junge Menschen bei der ersten Reaktion auf diversen digitalen Plattformen begeistert.
Nein, die Größe und von Bob Seger auch nie wieder erreichte Genialität auf "Against The Wind" findet man nicht im klassischen Rock'n'Roll, sie liegt vielmehr in den sonnigen Midtempo-Groovern. Dafür blicken wir kurz zurück in Mitte der 60er Jahre. Irgendwo in Detroit zockt ein gewisser 18-jähriger Glenn Frey mit seiner Band The Mushrooms in versifften Hinterhof-Clubs und wird von Segers Manager Punch Andrews entdeckt. Seger selbst - damals drei Jahre älter als Frey – ist bereits ein kleiner Star in der lokalen Szene der Autostadt und nimmt Frey unter seine Fittiche. "Das Wichtigste für meine Musik war, als ich Bob in Detroit kennenlernte", so Frey in 2003.
Die beiden werden dicke Freunde, geben sich gegenseitig Tipps in Sachen Songwriting und erleben große musikalische Momente zusammen. "Als Glenn und ich zum ersten Mal Jimi Hendrix hörten, sahen wir uns an und fragten uns, ob wir jetzt arbeitslos wären", erinnert sich Seger Jahrzehnte später an die 2016 verstorbenen Legende der Eagles. Zum Glück ließ sich das Duo nicht entmutigen, und obwohl er Bob Seger 1969 noch auf dessen erstem Hit "Ramblin Gamblin Man" mit Gitarre und Gesang unterstützt, ist es Glenn, der mit Don Henley zusammen zum Weltstar wurde.
Bob ist jedoch kein bisschen neidisch, und die enge Verbindung der beiden hält auch den Irrungen und Wirrungen der Musikindustrie stand. Trotzdem dauert es bis 1980, bevor Glenn Frey wieder auf aktiv auf einem Bob Seger-Album auftaucht – und wie. Bei den Aufnahmen zu "Against The Wind" revanchiert sich Glenn für Bobs-Songwriting beim Eagles-Erfolg "Heartache Tonight" und bringt Don Henley und Timothy B. Schmit ins Studio. Gemeinsam verzaubern ihre mehrstimmigen Backing Vocals die straighten melancholischen Midtempo-Tunes "Fire Lake" und "Against The Wind" und heben die beiden Stücke in den Olymp der Rockmusik.
Neben den Beach Boys und den Bee Gees sitzen auch die Eagles easy auf dem ewigen Harmonie-Thron. Glenns Harmonien – und nach Aussagen von Bob ist es bei den Eagles eben vor allem Glenn, der diese Stärke einbringt - schweben immer wieder zwischen den piano-getriebenen Grooves hin und her. Sie bilden den spannenden Kontrast zu Bobs dunkler, kräftiger Stimme und symbolisieren im kongenialen Wechselspiel genau jene Mischung aus Sehnsucht und Optimismus, die Amerika zum coolsten Land der Erde macht.
Das Glas ist halbvoll, der Tank auch, und hinter dem Horizont geht es weiter ins Glück, mag der Alltag auch noch so grau, die German Angst noch so präsent sein. Irgendein "Feuersee" liegt eben auch in Dänemark – doch das Album bietet noch mehr dieser umwerfenden Mische wie Gammeldansk und Faxe Bier. Inspiriert von seinem alten Kumpel kuscheln sich auch "You'll Acomp'ny Me", das streicher-veredelte "No Mans Land" und vor allem "Shinin' Brightly", auf dem ein weiblicher Chor mit viel Soul die Rolle der Eagles übernimmt, eng an Herz und Seele.
Seger nutzt parallel zum Sound seine große Stärke, die Geschichten und Gefühle mit wenigen und einfachen Worten allen Schichten Amerikas zugänglich zu machen. Er, der selbsternannte Mann der Mitte, erzählt seine Story nicht, er ist die Story – nahbar und alle umarmend. "It seems like yesterday, but it was long ago / Janey was lovely she was the queen of my nights / There in the darkness with the radio playing low" ("Against the Wind"). Wenige Zeilen langen, und man sitzt neben im dunklen Zimmer. Wenige Zeilen langen, und man klammert sich als Beifahrer an Bob, während er "gypsy leathers" tragend "den Chrome Three Wheeler" durch die Weiten Michigans zum "Fire Lake" steuert.
Bob Segers Bodenständigkeit und tiefe Verwurzelung im amerikanischen Rock'n'Roll verhindern den Weltstar-Status eines Springsteen, den er sowieso nie gewollt hätte. Er ist einer von uns, der sozialliberale Working Class Hero, auf den sich auch Beamte im öffentlichen Dienst einigen können. Dessen eingängige Songs genau jene Menschlichkeit und Freiheit ausstrahlen, um sich in den Kassettendecks auf dem Weg in den Urlaub die Spulen wund zu laufen.
Auf der B-Seite der TDK befand sich übrigens das 86er Album "Like A Rock", dessen Titeltrack einmal mehr symbolisiert, was Bob Seger für uns bedeutete: Sicherheit, Vertrauen und Standfestigkeit im Angesicht aller Stürme des Lebens. So spiegelt sich auf der Fahrt der breite Horizont Jütlands, die weiten Kornfelder, die in den 80ern noch recht stabilen Tannenwälder und vereinzelte Bauernhöfe im Sound von Bob Segers "Against The Wind". Im Norden Europas lebt der amerikanische Traum, lebt das echte Amerika der Route 66, das Amerika der Freiheit für alle Menschen. Bob Seger sei dank.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
2 Kommentare mit einer Antwort
Die TDK im Renault, great. Auch wenn's einfallsarme und konventionelle Musik ist, strahlt sie doch viel Wärme ab. Wohlfühl-Album, in der Tat gut für unterwegs. Und der Gesang in "Lady You'll Accompny Me" ist heiß. 4,5/5
Mein Vater hat damals im Sommer '95 in einem schwedischen Einkaufszentrum in Färjestaden die Doppel-CD des Soundtracks von Forrest Gump gekauft. Seitdem ist der Song "Against the Wind" mein ständiger Begleiter, selbst wenn ich ihn in den letzten Jahren nur noch ab und an mal höre. Gibt wenige Lieder, die so aufrichtig melancholisch stimmen.
Das restliche Album habe ich nie gehört, aber vielleicht wäre das hier ja mal ein guter Anlass.
Es lohnt sich, auch den Rest des Albums zu hören.