laut.de-Kritik
Die Rache der Killerbäume.
Review von Giuliano BenassiWirklich glücklich sieht Will Oldham auf dem Pressefoto zum vorliegenden Album nicht aus. Mit einem blauen T-Shirt, das den Titel eines der Lieder trägt, schaut er ziemlich missmutig in die Kamera. Auf der Rückseite der CD (oder besser LP) zündet er sich dagegen nachdenklich eine Zigarette (oder einen Joint) an, während auf seinem kahlen Kopf ein Reh-Geweih thront.
Zwischen Ernsthaftigkeit und Albernheit bewegt sich auch sein 24. Album unter dem Künstlernamen Bonnie 'Prince' Billy. Vor allem aber - er klingt ausgeglichen. Fast könnte man meinen, er habe sich eine Überdosis Gordon Lightfoot gegeben. So sanft hat er vermutlich zum letzten Mal vor 20 Jahren gewirkt, zu Zeiten von "Ease Down The Road" und "Master & Everyone".
Seine Ehe mit der Künstlerin Elsa Hansen Oldham, von der die Fotos stammen, und seine Rolle als Vater haben Oldham offenbar eine innere Ruhe geschenkt, die auch schon auf dem Vorgänger "I Made A Place" (2019) zu hören war. Kryptische Stellen und Gewaltausbrüche sind natürlich auch hier vorhanden, doch nur vereinzelt. Im Wesentlichen gibt sich Oldham zärtlich.
Ob man es mag oder nicht, wie der Titel des Openers vermittelt. Achtung, lass dich umarmen, so das Wortspiel im zweiten Stück, wir müssten dumm sein, um unsere Liebe nicht zu genießen, so die Botschaft des dritten. Über die Bedeutung von "Blood Of The Wine" ließe sich spekulieren, oder auch nicht, wie ein Kinderlied wirkt "Willow, Pine And Oak", in dem Oldham die Menschheit in drei Kategorien einteilt, die die Eigenschaften von Weiden, Fichten oder Eichen haben. So viel sei verraten: Nur Eichen taugen etwas.
Dann kommt dieser eine Moment, den Oldhams Musik auszeichnet: In "Trees Of Hell" sind die Bäume plötzlich für all das sauer, was ihnen die Menschheit angetan haben, und rächen sich: "Ein Baum riss mir den Magen weg, ein Ast bohrte meine Augen aus", so Oldham mit ruhiger Stimme. In "Crazy Blue Bell" läuft er Hand in Hand mit seiner Familie in ein apokalyptisches Gemetzel.
Doch muss man schon genau hinhören, denn die musikalische Begleitung bleibt stets sanft. Die Aufnahmen fanden in Louisville, Kentucky unter der Führung des Tontechnikers Nick Roeder statt, mit den Musikern Sara Louise Callaway (Geige), Kendall Carter (Tasteninstrumente), Elisabeth Fuchsia (Geige und Viola), Dave Howard (Mandoline) und Drew Miller (Saxophon). Im Mittelpunkt stehen jedoch Oldhams hohe, ruhige, diesmal nur seltene brüchige Stimme, seine gezupfte Gitarre und der wirkungsvolle Hintergrundgesang von Dane Waters, die meistens klingt wie ein Engel, stellenweise wie eine Opernsängerin.
Ganz zum Schluss wird es sogar schunkelig. "Good Morning, Popocatépetl", benannt nach dem zuletzt wieder schwer aktiven Vulkan in Mexiko, klingt mit Orgel wie ein Stück vom Jahrmarkt, die Melodie deutlich von Doris Days "Que Sera, Sera" abgeleitet. Warum auch nicht? Oldham hat schon so viele schwermütige Alben aufgenommen, dass ihm (und uns) auch mal eines der leichteren Sorte gegönnt sei.
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