laut.de-Kritik
Plastisch, peitschend, hypnotisch, spacy: Funk-Impulse von der East Coast
Review von Philipp KauseCowboy-Funk ist rar, Jamiroquais "Space Cowboy" fällt einem da ein. Der Newcomer Jamil Rashad, der sich Boulevards nennt, legt nun ein überzeugendes Konzept dazu vor. Er findet, sein Konglomerat aus Funk-, Soul- und (angeblich) Punk-Bestandteilen sei genau das Richtige, um seine Heimat zu repräsentieren: North Carolina. Im Titel der LP "Electric Cowboy: Born In Carolina Mud" ehrt er den Ostküsten-Bundesstaat , denn "North Carolina bekommt nicht annähernd die Anerkennung, die es verdient, aber es gibt (...) Menschen dort, die auf eine ganz besondere Art und Weise inspirierend sind."
Als einen jener Kreativen darf man gewiss den 37-Jährigen selbst herausheben, der sich hörbar mit Leuten aus der Retro-Szene zusammentat, um seine Vorstellung vom elektrisch geladenen Cowboy wahr werden zu lassen. So macht zum Beispiel ein Mitglied der Black Pumas mit. Aber auch Chicagos Alternative Rock ist vertreten.
Das Resultat saugt beim Hören mit magnetischer Kraft ins Paradies der besten ungehörten 70er-Underground-Platten, die zu importieren immer zu teuer war. Bei "How Do Ya Feel" fällt es schwer, nicht sofort an Earth, Wind and Fire zu denken. Darüber hinaus referiert der federnde elegante Disco-Sound offenbar auf Chicagos lokale Heroes, Donnell Pitman womöglich, und der Boulevards-Sänger nennt noch was komplett anderes: The Cramps, Garage aus New Yorks legendärer CBGB-Szene. Viele Einflüsse dürften ihm selbst kaum bewusst sein, prasselte auf ihn als Sohn eines R'n'B-DJs doch von klein auf jede Menge ein.
"Surprise" leistet sich einen slighten Reggae-Schlenker inmitten von WahWah-Funk und schüttelt optimistische Vibes denkbar lässig aus dem Ärmel. Afrofunky spacesoulig zeichnet sich das staubtrocken-perkussive "Ain't Right" mit Glibber-Loop aus. Nostalgischen Disco pflegen "Where Is Da Luv?" mit erregten Keuch-Lauten und instrumentalen Freiflächen, dann das nach den klassischen Vokalgruppen klingende "Together" und das fantastisch durchgeorgelte Duett "Better Off Dead (feat. Nikki Lane)".
Das gewaltige Charisma der Nummer gräbt spürbar in Soundtracks wie "Trouble Man" (Marvin) und "Superfly" (Curtis), also plastischen Blaxploitation-Kunstwerken. Eine Stimmung wie bei einer Stadtrundfahrt in den Outskirts, in Sound gegossen. "Better Off Dead" ("besser tot") ist ein geflügeltes Wort vieler Film- und Song-Titel mit makabrem Humor, zurückreichend bis zu Bill Withers. Durchaus tauchen Motive wie Drogen und Rassismus aus solchen Filmen in Boulevards Texten auf.
"God Bless Ya (Be Thankful)" reitet mit peitschenden Beats in hypnotischen Deep Funk hinein, der völlig die Sinne vernebelt und die einzelnen Soundzutaten geschickt zu einer niet- und nagelfesten psychedelisch verspulten Masse verklebt. Weitere Highlights: die E-Gitarre im sexy Groove von "Modern Man", der geschmeidige Folksouler "Problems", der zarte Chillout-Jazzsoul des textarmen "Time", Trillertöne, Falsett und versonnene Endlos-Schleife im romantischen, vielstimmigen "Hooked", das Bläser-Arrangement im fröhlichen "Turn". Also alles.
Das hochgepitchte Tempo von "Electric Cowboy: Born In Carolina Mud" sieht der James Brown-Fan Jamil a.k.a. Boulevards im reitenden Mann auf dem Plattencover versinnbildlicht: "Das bin ich (...) der Electric Cowboy, der alles niedermetzelt, was sich ihm in den Weg stellt. Ich muss (...) weiterkämpfen." Funk sei für ihn der Kampf mit Dämonen. So hat sein drittes Album bei aller schwungvollen, wild groovenden Heiterkeit tiefe Wurzeln in Gefühlen wie Hilflosigkeit und Situationen des Abhängig-Seins. Womöglich verbraucht sich die Platte gerade deshalb nicht, egal wie viele Stunden am Stück sie rotiert.
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