laut.de-Kritik
Hier wächst zusammen, was schnellstens getrennt gehört.
Review von Sven KabelitzBrennende Wälder, Überflutungen, Dürren. Die Polkappen und Gletscher schmelzen. Der Golfstrom steht möglicherweise schon bald vor dem Kollaps. Der Amazonas kann seine Aufgabe als unsere "grüne Lunge" kaum noch erfüllen. Naturkatastrophen weltweit. Die Zeit zum radikalen Umdenken haben wir verpasst, aber wir können auch jetzt noch etwas ändern. Brenner haben dies erkannt. Auf ihren Fotos lassen sie neuerdings ihre Motorräder daheim in der Garage. Vorbildlich.
Auch sonst ganz umweltbewusst, setzen sie auf Recycling. Für ihr zweites Album bauen sie auf die Cover-Versionen alter Schlager, verbinden diese mit ihrem zopfigen Manspreading-Rock. Was zusammen den ganz ausgefuchsten Titel "Rockschlager" ergibt. Rock. Schlager. Eigentlich erübrigt sich nach diesen zwei Worten jegliche Kritik, sagen sie in dieser Kombination doch alles aus. Hier wächst zusammen, was schnellstens getrennt gehört.
Auch in den Texten bleiben Brenner weiter am Thema Klimawandel. In Wolfgang Petrys "Der Himmel Brennt" wagen sie einen Blick in eine apokalyptische Zukunft: "Der Himmel brennt / Die Engel flieh'n / Und ich ersticke in schwarzen Wolken." Diese düstere Aussichten verbinden sie mit freudigem Bierzelt-Rock. Möglicherweise erhoffen sie so ein Publikum zu erreichen, das sich sonst eher selten oder gar skeptisch mit den Problemen vor denen wir stehen auseinander setzt.
Mit Daliah Lavis "Willst Du Mit Mir Geh'n" bewerben sie sich für die nächste "Fridays For Future"-Demonstration: "Willst du mit mir geh'n? / Wenn die Angst bei mir verweilt / Willst du mit mir geh'n? / Wenn die Zeit mich nicht mehr heilt / Wenn der Ruf der Welt vor mir verstummt." Brenner reihen eine dunkle Hymne an die nächste, doch wissen sie, dass es sich auch in solch scheinbar aussichtslosen Situationen weiter lohnt zu kämpfen. Deswegen eröffnen sie "Rockschlager" mit Katja Ebsteins "Wunder Gibt Es Immer Wieder".
So ganz hat die Band die neue Message aber noch nicht verinnerlicht. "Mendocino, Mendocino / Ich fahre jeden Tag nach Mendocino" singt Frontmann Martin Goldenbaum, laut Pressetext "Ein Mann aus dem wirklichen Leben", in Michael Holms "Mendocino". Naja, immerhin fliegt er nicht.
Viele dieser Songs entwickelten sich über die Jahrzehnte nicht umsonst zu Evergreens. Die Darbietung stellt sich auf "Rockschlager" als klares Problem heraus. Jedes einzelnes Lied berauben Brenner und Produzent Hardy Krech (Santiano, Kelly Family, Beyond The Black) der eigenen Dynamik und ersetzen diese durch ein durchgängiges Draufhauen. Als Resultat klingen sie etwa in Howard Carpendales "Dann Geh Doch" wie die allerschlimmstmögliche Version der Toten Hosen.
Für "Wenn Ein Mensch Lebt" schnappt sich Dieter "Maschine" Birr persönlich das Mikro, singt den Puhdys-Klassiker im Duett mit Goldbaum. Warum er das gruselige Quetschkommoden-Intro nicht verhinderte, bleibt ein Rätsel.
Alphavilles "Forever Young" verliert die Melancholie und Romantik des Originaltextes völlig. Was bleibt sind übelste Durchhalteparolen: "Hungrige Herzen kämpfen lebenslang / kehrn immer wieder wie ein Bumerang (hä? HÄ?) / und wenn sie falln stehn sie wieder auf / und richten ihre Krone." Eine Version, wie geschaffen für Bierwerbung, in der sich Mitvierziger beim Grillen im Garten des Eigenheims im Sonnenuntergang zuprosten. Das hat "Forever Young" nicht verdient. Wo wird aber schon dabei sind, unseren Schädel zu fluten, gibt es Roland Kaisers "Die Gefühle Sind Frei" in fürchterlichstem "Sail Away"-Gewand.
So bleiben am Ende von "Rockschlager" nur die guten Absichten, die Brenner aber durch die Umsetzung mit dem Bobbes einreißen. Wegen leichten Aussetzern ("Mendocino") reicht es thematisch knapp nicht für die Höchstnote. Beim Rest heißt es aber Nachsitzen.
7 Kommentare mit 7 Antworten
An Komm, süßer Tod und Silentium kommen sie eh nie mehr ran. Dabei würde man ihnen insbesondere Letzteres von Herzen gönnen!
ungehört 5/5, nicht weil es gut ist - sondern: einfach so!
Ein Favorit für die größte vertonte Kotze des Jahres.
Was gibt's denn gegen Eigenheime im Sonnenuntergang zu sagen?
Sollte diese Frage ernst gemeint sein dann gibt's dagegen zumindest dir gegenüber tatsächlich nix mehr zu sagen, denn dieser Zug ist ganz eindeutig längst abgefahren.
Edith fragt, ob du Sonnenuntergang vom Eigenheim aus schon mal Auge gemacht hast, während dabei "Rockschlager" von Brenner auf deinem TEUFEL Soundsystem lief?
Du machst den Eindruck als könne dies einen enormen Beitrag zu deiner allgemeinen Lebenszufriedenheit leisten!
TEUFEL nur mit dem Chefsessel, für den dieser ehemalige Barmixer bei Deluxe Hits Werbung macht. Die 80er laufen bei mir repeat
Es ist vermutlich kein gutes Album (ich traue mich nicht, reinzuhören). Allerdings dürfte es nicht weniger peinlich als etwa die Hälfte aller Deutschrapalben, die dieses Jahr erschienen sind.
Das ist wahr. Wird allerdings eine Hörerschaft haben, die sich diesen unberechtigt intellektuell überlegen fühlt.
Musik für Robbe