laut.de-Kritik
Unausgegorenheit in klanglicher Perfektion.
Review von Ulf KubankeNach den farbenprächtigen letzten beiden Alben mit Karly Hyde ("Someday World" und "High Life") steht Brian Eno nunmehr der Sinn nach Ernst, Reflexion und Aufklärung. "The Ship" läd er randvoll mit der Suche des Einzelnen nach Freiheit und dem ewigen Scheitern unserer Zivilisation. Den Aufhänger hierfür liefert eine künstlerische Einbettung des Ersten Weltkriegs. Der thematischen Überfrachtung setzt die Platte musikalisch jedoch nichts entgegen. Erstmals seit langem überzeugt der Engländer nicht.
Alle guten Ideen hat er anscheinend in der Kollabo mit Mr Underworld verbraten. Das ist schon deshalb besonders schade, weil die Grundidee philosophisch spannend bleibt, während die Klänge in fußlahmer Tristesse hinterherhinken. Der Meister selbst weist wortreich auf folgende Intention hin:
"Die Hybris des Glaubens an die eigene unendlich wachsende Macht steht im Widerspruch zur steigenden Paranoia, der wir permanent unterworfen sind. Wir besitzen mehr als wir verdienen oder verteidigen können. Das macht uns nervös. Jemand könnte uns alles wegnehmen. Die Paranoia führt zu einer konstanten Verteidigungshaltung. Es endet dann in den Schützengräben, wo man einander gegenüber liegt."
Unrecht hat er nicht. Im Hörer erwacht die Neugier - und genau ab diesem Punkt geht es steil bergab. Viermal gibt es eine Mischung aus Ambient, Collage und Spoken Words plus etwas Gesang, zum Ende sogar ein Velvet Underground-Cover von "I'm Set Free". In der Theorie klingt das vielversprechend. Die Praxis sieht anders aus.
Auf dem 20-minütigen Titelstück langweilt Eno sich und das Publikum gleichermaßen. Die schroffe Unterkühlung erschiene passend, gäbe sie nicht eine ungewohnte Ideenlosigkeit preis. Das bisschen Hintergrundgetüddel ist nicht der Rede wert. Sowohl im Bereich Theatermusik (etwa "Blush Music" von Woven Hand) als auch von Enos Nachkommen im Ambientdschungel hat man derartiges mittlerweile hundertfach gehört, meist auch deutlich inspirierter.
An einer etwaigen Limitierung des Genres liegt es nicht. Vor wenigen Jahren noch zeichnete Eno auf "LUX" ein in sich geschlossenes, sehr ausdrucksvolles Bild dieser Musik. Noch schlimmer wird es, wenn er im Verlauf des Kernstücks dem Missverständnis erliegt, seine grabesmonotonen, gen Robo-Voice strebenden Vocals von der Stange wirkten besonders: "Die Aufnahmen gestatten den Stimmen, in ihrem eigenen Raum und ihrer eigenen Zeit zu existieren.")
Im Verlauf der zweiten Hälfte streut Eno sogar etwas Gesang ein. Das ist grundsätzlich erst einmal eine gute Nachricht. Highlights des eigenen Katalogs wie "The Fat Lady Of Limbourg" oder "I'll Come Running" zeigten bereits vor mehr als 40 Jahren, wie angenehm charismatisch Eno klingen kann, wenn er nur will.
"Fickle Sun (I)" scheitert konsequenterweise auch nicht am Gesang. Den legt er analog Songtitel und Brendan Perry (Dead Can Dance) angemessen strahlend an. Leider jedoch hat ausgerechnet diese Eno-Komposition so gar nichts Eigenes und klingt, als habe man songwriterisch das irische Antikriegs-Stück "The Wind That Shakes The Barley" mit Nicos "Janitor Of Lunacy" vermengt.
Noch nicht einmal der sich thematisch gut einfügende Lou Reed-Text will hier so recht gelingen. Die organischen Gitarrenklänge wirken wie ein Fremdkörper und funktionieren nicht als ersehntes Licht am Ende des Tunnels. Stimmlich verharren Enos klinische Vocals im Mittelfeld zwischen unterkühltem Beobachter und sehnsüchtiger Erlösung. Am Ende ist es weder echtes Cover noch gewinnende Eigeneroberung.
Selten stand der ehemalige Roxy Music-Mitstreiter so sehr neben sich wie auf "The Ship". Dessen in klanglicher Perfektion dargebotene Unausgegorenheit hat in ihrer Überambition etwas Irritierendes. Reinhören vor dem Kauf wird dringend empfohlen.
1 Kommentar
Roedelius und Moebius = Cluster waren Eno`s Life Inspiration. Und diese ist nun verbraucht.
Es bleibt ein bisschen wabern, ein paar Wellen und viel Erfahrung im Schönproduzieren.