laut.de-Kritik
Beim Besten nichts Neues.
Review von Alexander KrollThe Boss? Eigentlich reicht der alte Spitzname für Bruce Springsteen längst nicht mehr aus.
Über ein halbes Jahrhundert hat der Superstar aus New Jersey die Geschichte der Rockmusik so geprägt wie kaum ein anderer. Und während Paul McCartney oder die Stones auf ihre alten Tage durchaus mal die ein oder andere Pause einlegen, zeigt der 74-Jährige sogar in seiner Spätphase unermüdlichen Einsatz und erobert dabei ständig neues Terrain.
Zusätzlich zu weltweiten Tourneen, die alle Rekorde sprengten, schrieb Springsteen im letzten Jahrzehnt eine Autobiografie, spielte 236 Shows am Broadway, produzierte eine eigene Radiosendung, und auch noch einen Podcast mit Barack Obama, der ihm zuvor die Presidential Medal of Freedom verliehen hatte. Obendrein veröffentlichte er ein Outtakes-Album, ein Western-Album, eine Soul-Platte und einen bewegenden Versuch über Vergänglichkeit.
Springsteens Werk hat längst Dimensionen erreicht, denen ein einfaches Best-of kaum noch gerecht werden kann. Naheliegender wäre inzwischen ein Boxset, das alle Songs vereint. Oder ein Release, das auf kreative Weise in die Tiefe führt, wie es die Geburtstagsboxen zu den Hit-Alben "Darkness On The Edge Of Town" und "The River" eindrucksvoll vorgemacht haben.
Stattdessen wählt "Best Of Bruce Springsteen" den denkbar einfachsten Weg. Abgesehen von den Neuzugängen "Hello Sunshine" aus "Western Stars" und "Letter To You" aus dem gleichnamigen Longplayer übernimmt die Best-of nahezu komplett die Songauswahl von zwei bereits veröffentlichten, wenig originellen Kompilationen.
"Best Of Bruce Springsteen" kopiert weitgehend die 2013er "Collection: 1973 - 2012", die ihrerseits die "Greatest Hits" von 1995 kopiert hatte. Während die bislang gelungenste Best-of-Sammlung "The Essential Bruce Springsteen" von 2003 durch eine vielfältige und raffinierte Auswahl bestach, kommt jetzt, zu Hochzeiten des Musik-Streamings, ein weiteres Mal eine völlig vorhersehbare Standard-Playlist auf den Markt.
In chronologischer Abfolge repräsentiert jeder der achtzehn Tracks ein Album aus Springsteens Karriere zwischen 1973 und 2020. Die Meilensteine "Born To Run" und "Born In The U.S.A." sind beide mit zwei Tracks vertreten. Ohne Song bleiben "Lucky Town", "Devils & Dust", "We Shall Overcome", "Working on a Dream", "Wrecking Ball", "High Hopes" und das zuletzt erschienene Cover-Album "Only the Strong Survive".
Natürlich sind fast alle vertretenen Songs grandios. Sei es die epische Aufbruchshymne "Born To Run" oder das wuchtige Antikriegs-Statement "Born In The U.S.A.", die akustische Singer-Songwriter-Offenbarung "Atlantic City" von 1982 oder jene, die Springsteen dreizehn Jahre später über "The Ghost Of Tom Joad" aufnahm.
Jede Schaffensperiode bietet Meriten. Stark ist das frühe, jugendlich rebellische 70er-Stück "Growin' Up", genauso wie der melancholische, von einer Drum Machine angeführte 90er-Soundtrack "Streets Of Philadelphia". Auch die beiden neusten Lieder überzeugen.
Trotzdem ist die Liederauswahl, die hier aufs Neue veröffentlicht wird, sicher nicht unumstößlich. Mit "The River" und "I'm On Fire" fehlen zwei der größten Springsteen-Hits. Dafür könnte freilich "Human Touch" sein Best-of-Dauerabo pausieren. Bei den neueren Tracks sollten die "Girls In Their Summer Clothes" lieber einem "Wrecking Ball" weichen.
Abwechslung wäre auch bei der Repräsentation der Klassiker-Alben angebracht. Mehr als willkommen wäre ein tieferer Zugang in die epischen Weiten von Springsteens Rockpoesie. Als zwei der herausragendsten Springsteen-Songs böten "Jungleland" und "Racing In The Street", bei aller Länge, großartige Portale zu "Born To Run" und "Darkness on the Edge of Town".
Um die Qualitäten des Heartland-Rockers abzubilden, der bei seinen über dreistündigen Konzerten mit der E-Street-Band auf exotischste Fan-Wünsche eingeht, wäre auch ein Live-Track ein starkes Zeichen. Stattdessen fehlt sogar ein Konzert-Favorit wie "Tenth Avenue Freeze-Out" komplett.
Das Lied findet sich, wie zwölf weitere, immerhin auf einer erweiterten digitalen Version von "Best Of Bruce Springsteen". Dort gibt es zumindest etwas mehr Vielfalt und die packende Folk-Ballade "The Wrestler". Doch auch dort findet sich keine Überraschung, geschweige denn ein neues oder bislang unveröffentlichtes Lied.
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