laut.de-Kritik

Der Boss holt weit aus.

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"Tracks II": Ganze sieben nie erschienene Alben, aufgenommen zwischen 1983 und 2018, warten darauf, entdeckt zu werden. 83 Songs, viele davon fast vergessen, fertig abgemischt, nie veröffentlicht.

Als Appetizer erscheint parallel dazu die 20-Track-Compilation "Lost And Found: Selections From The Lost Albums", eine Art musikalischer Querschnitt durch diese Schatztruhe. Sie vereint eine kleine Songauswahl aus den sieben Alben und zeigt eindrucksvoll, wie viele Leben Bruce Springsteen als Musiker und Songwriter geführt hat.

"All diese LPs sind abgeschlossene Alben", sagt Springsteen selbst in einem Trailer zur Box. "Manche davon waren sogar kurz davor, abgemischt zu werden". Der Künstler habe sich die Songs über die Jahre immer wieder selbst angehört, Freunden vorgespielt – nun gibt er sie endlich frei. Die Gründe für ihre damalige Nicht-Veröffentlichung? Mal passten sie stilistisch nicht in die Zeit, mal war kein Platz auf dem Hauptalbum, mal war der Boss einfach noch nicht bereit.

Das Ergebnis ist eine Sammlung, die zwischen Akustik-Folk, Rock, orchestraler Filmmusik, Country, Synthiepop und Herzblues changiert – und trotzdem immer nach Springsteen klingt.

Den Einstieg bildet "Follow That Dream" aus den "LA Garage Sessions '83". Die Aufnahmen schlagen die Brücke zwischen "Nebraska" (1982) und dem monumentalen "Born In The U.S.A." (1984) – man hört Springsteen hier im Umbruch: introspektiv, minimalistisch, aber mit wachsendem Anspruch. "Seven Tears" und "Unsatisfied Heart" ergänzen das Bild: melancholisch, rau produziert, mit schepperndem Hall und doch voller Gefühl. Besonders "Unsatisfied Heart" zeigt die E Street Band in Höchstform – komplexe Arrangements, durchdachte Instrumentierung, ohne Überladenheit.

Ein markanter Bruch folgt mit "Blind Spot" aus den "Streets Of Philadelphia Sessions" (ca. 1993–1995). Hier dominiert urbaner Schwermut, getragen von Drumloops und Synth. Die Sessions umkreisen Themen wie Entfremdung, Identität und Trauer.

"Faithless" aus dem gleichnamigen Album sticht besonders hervor. Springsteen schrieb die Stücke angeblich für einen Film, der nie gedreht wurde, und doch wirkt das Material wie für die Leinwand komponiert: atmosphärisch, zurückgenommen, fast spirituell. "God Sent You" wechselt das Klangbett von Gitarre zu Piano - eine kleine, aber wirkungsvolle Geste.

Mit "Repo Man" aus "Somewhere North Of Nashville" schaltet das Tempo plötzlich hoch. Hier kommt der Rock'n'Roll-Springsteen zum Zug: cleaner Gitarrensound, ein Piano-Solo wie ein Donnerschlag, kompromisslos geradeaus. Dieses Album flirtet stark mit Country-Rock - inklusive Pedal Steel, Southern-Romantik und den einsamen Antihelden, die der Boss so gut kann. "Detail Man" ist klassischer Heartland-Rock mit Hymnenpotenzial und zieht das Niveau nochmals an. Der Track hätte problemlos auf "The Rising" oder "Magic" gepasst. "You're Gonna Miss Me When I'm Gone" dagegen zündet das Lagerfeuer an - bittersüßer Americana, der tief ins Herz geht.

Aus dem Album "Inyo" hören wir unter anderem "Adelita" und den Titeltrack, Songs, die sich wie eine Reise durch die Grenzregion zwischen Mexiko und den USA anfühlen. Springsteen verneigt sich im ersteren vor den Soldaderas, weibliche Soldaten, die in der mexikanischen Revolution für Freiheit kämpften. Einen Schwenk liefert das Album "Twilight Hours", vertreten durch "Sunday Love" und "Sunliner". Hier klingen Film Noir und 50er-Jahre-Stimmung durch. Eine neue Klangwelt, und dennoch glaubhaft.

Mit "I'm Not Sleeping" aus dem "Perfect World"-Album wird es modern. Hier spürt man die späten 2000er, die melancholische Reife eines Künstlers, der nie stehen blieb. Und dann kommt der Klimax: "Rain In The River". Was für ein Song. Hymnisch, tragisch, hoffnungsvoll - alles zugleich. Typischer E-Street-Flair, gepaart mit der Reife eines gereiften Songwriters. Es ist ein Song für die Arenen und für einsame Nächte.

"Lost And Found" ist kein Abfallprodukt. Es ist auch keine Resterampe. Es ist ein musikalisches Zeitdokument, ein tiefer Blick in Springsteens Schaffensprozesse, in seine Experimente, seine Stimmungen, seine literarische Wucht. Die Compilation zeigt: selbst die "verlorenen" Alben von Bruce Springsteen sind auf einem Level, das viele Künstler nicht einmal bei offiziellen Veröffentlichungen erreichen.

Was bleibt? Große Vorfreude auf die ausführliche Entdeckung der vollständigen "Tracks II: The Lost Albums". Denn wenn diese 20 Tracks nur der Einstieg sind - was für ein Schatz wartet da noch?

Trackliste

  1. 1. Follow That Dream
  2. 2. Seven Tears
  3. 3. Unsatisfied Heart
  4. 4. Blind Spot
  5. 5. Something In The Well
  6. 6. Waiting On The End Of The World
  7. 7. Faithless
  8. 8. God Sent You
  9. 9. Repo Man
  10. 10. Detail Man
  11. 11. You're Gonna Miss Me When I'm Gone
  12. 12. The Lost Charro
  13. 13. Inyo
  14. 14. Adelita
  15. 15. Sunday Love
  16. 16. High Sierra
  17. 17. Sunliner
  18. 18. I'm Not Sleeping
  19. 19. Rain In The River
  20. 20. You Lifted Me Up

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