laut.de-Kritik
Düsterer Dancehall ohne Dirty Image.
Review von Philipp KauseDiese Texte handeln nicht von "Wine up your body" und "Shake your bum-bum", sondern von den Lebensbedingungen, wenn man wie Bugle zwischen verarmenden Farmern, tagelöhnenden Handwerkern und rivalisierenden Drogen-Gangs aufwächst. Der Dancehall dieses Newcomers, gesprochen Bjugel, setzt sich mit den düsteren Seiten Jamaikas und des Lebens auseinander. Street Credibility, Talent und eine Stimme wie eine 'brand', tief und rau wirft er ins Rennen.
Die jamaikanischen DJs schenken zwar anderen Acts mehr Beachtung. Bugle aber verkauft sich nicht an den Kommerz - auch nicht für sein drittes Album "Picture Perfect". Manchmal tappt er zwar in die Falle der Bubblegum-Beats - Popcaan und Vybz Kartel lassen grüßen. Auch Bugle nutzt stellenweise Auto-Tuning. Unnötig: Er hat einen guten Gesangsausdruck. Und dort, wo das nicht der Fall ist, zählen unsaubere Ton-Nuancen zu den stärksten Momenten auf "Picture Perfect".
Das schräge "Intro (ft. Ras Shadaii)" öffnet einen großen Bogen von biblischen Figuren wie Amlak, Gott in der amharischen Sprache Äthiopiens, bis zu politischen Symbolfiguren wie King Haile Selassie. In "Educated Dunce" stellt der Jamaikaner Bugle klar: Die Ghetto Kids hungern nach Bildung. Wenn sie sie sich nicht leisten können, überbrücken sie die Bildungslücken mit Smartness, mogeln sich erfinderisch durch. Hoffnung nie aufgeben, Weitermachen mit einem Smile im Gesicht, "carry on"
Weitermachen heißt beim Zuhören, die nächsten beiden Titel zu skippen: Gast Gramps Morgan von Morgan Heritage steuert den Song "Encouragement" in aufgesetzte Soul-Seifigkeit, und die Newcomerin Jada Kingdom jault dem Gastgeber seinen Titelsong kaputt.
Danach findet Bugle in seinen Flow: "Next Of Kin" lässt eine richtig dicke Kette von melancholischen, inhaltsstarken, leidenschaftlichen Tracks vom Stapel: Das disharmonische "Memories", das vor Trauer triefende, introvertierte "24Hrs", das auto-suggestive "Rise Again" an der Seite von Kabaka Pyramid, das ernste Wortgewitter über bittere Armut, "Hungry Days" und das sakrale "Life Saviour" mit der Botschaft "Music saves my life" und dem von Shaggy entdeckten Newcomer NoahPowa als Feature-Gast, sie alle zusammen formen eine Konzeptalbum-Strecke über das elende, miese Leben.
Mit "Replay (ft. Shuga)" erobert sich das Love Tunes-Genre seinen Platz - in einem gekonnten Duett. Die junge Shuga ist dem Bugle stimmlich ebenbürtig. Sie trällert so sehnsuchtsvoll, dass Liebe und Emotionen fühlbar werden, während er in finsterster Stimme seine Arbeitslosigkeit bedauert. Die Dame bekommt trotzdem nicht genug von ihm und fordert, "come over and over and put it on replay".
"Stereotype" fasst den Kreislauf zusammen, wenn junge Leute auf die falsche Bahn, "a wrong road", mit der Polizei in Konflikt kommen und die Medien solche Vorfälle als Nachrichten ausschlachten. Doch "die Gesellschaft" verhält sich kaltherzig, "ignoring a poor man's call" und jubelt den glatten Kartellbossen zu, die ihrerseits die Politiker schmieren und die Arm-Reich-Kluft verschärfen.
Da es in solchen Songs überwiegend nur noch um den Text geht, leidet der Fun-Faktor fürs internationale Publikum. Agent Sasco fährt seit 20 Jahren diese sozialpolitische Schiene. Auf den Agenten wurde immerhin Kendrick Lamar aufmerksam und bescherte ihm mit seiner brisanten Gast-Strophe zu "The Blacker The Berry" 40 Sekunden Grammy-Award-Ruhm. Solch eine Chance fehlt Bugle noch. Agent Sasco wendet sich aber auch gegen Selbstmitleid und setzt aufs individuelle Handeln. Bugle steckt in der Analyse fest. Sie wirkt immerhin stimmig.
Nicht durchgängig, aber immer wieder punktet "Picture Perfect" mit Material abseits der Hörgewohnheiten: Für "Appreciation" hat Bugle etwas von der Haiti-Soundfarbe Wyclef Jeans verschluckt, rap-singt zur akustischen Gitarre wie Wyclef einst in "Wish You Were Here" oder "President".
"Memories" von Bugle täuscht ein typisches Song-Arrangement mit crémigen Background-Gesängen und melodiös orgelnden Keyboardtönen vor. Was dann aber passiert, macht stutzig: Der Song klingt wie in falscher Geschwindigkeit abgespielt. Konsequent laufen die Akkorde von Bugles Gesang, die Akkorde der Hintergrundgesänge und der Keyboards in einem disharmonischen Gebrodel immer wieder auseinander, dann wieder aufeinander zu. Am Ende entsteht eine triste, gewittrige Stimmung. Der Song hört sich schief, dennoch cheesy an. Bugle mimt hier einen Typen, der immer unerreichbarer in seiner Tristesse versinkt und gegenüber der Außenwelt allzu tief in seinen Erinnerungen abtaucht. Schön ist der Reim von 'Jimmy Cliff' auf "spliff". Einzelne Dub-Effekte verzieren die Platte selten; hier in "Memories" (und in "Focus") hört man ein paar Echos.
"Life Saviour" gibt dem Reggae eine solche Ballade, wie Guns'n'Roses sie dem Rock mit "November Rain" schenkten. Songs, die sich konsequent trauen, traurig und getragen eine Story zu entfalten - im Reggae und Dancehall gibt es sie viel zu selten. Der Stimmen-Mix mit den Gästen passt hier gut. Dieses Lied über die Bedeutung von Musik dürfte auch R'n'B- und Hip Hop-Fans ansprechen.
Der Blickwinkel des Albums richtet sich zwar auf die harte Realität aus. Doch es findet sich auch sehr viel Platz für Gefühle, Erinnerungen, Hoffnungen, Träume. Alle Themen von Politik, Liebe, schlechten Startchancen und Anti-Rassismus fließen im experimentellen "Celebration" zusammen. Bugle nuschelt darin wachträumend, Freestyle-textend fünf Minuten lang einen Stream of Consciousness durch. Die Synthesizer ziehen eine wabbelige, klirrend hohe Tonspur nach sich. Schwächere Stücke sind derweil auf "Picture Perfect" zu verzeihen, übertreffen doch 13 der 20 Songs den gewohnten Output jamaikanischer Studios bei weitem – an Kreativität und Authentizität.
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