laut.de-Kritik

Die irische Chappell Roan geht durch die Decke.

Review von

Es ist der perfekte Ort und die perfekte Zeit für CMAT, nachdem sie seit 2021 mit ihrer musikalischen Identität gehadert und alle Flirts mit Electronica und Hyperpop schlussendlich abgeworfen hat, um sich komplett dem keltisch-Country-inspirierten Songwritertum zu frönen. Das klänge vor vier Jahren noch wie kommerzieller Selbstmord, nach dem Sturz in eine authentische, kleine Nische.

Nun schreiben wir das Jahr 2025, Country ist so groß, dass er gar an den Pforten Europas rüttelt, Chappell Roan hat queere, showtunige Liedermacherei in die höchsten Pop-Höhen geführt. Und CMAT steht zufällig dafür bereit, dass ihr organisches, idiosynkratisches Ding plötzlich der absolut heißeste Scheiß ist.

Es macht also Sinn, dass "Euro-Country" gerade in ihrer irischen Heimat, aber auch weit darüber hinaus ziemlich durch die Decke geht. Die Chancen stehen nicht so schlecht, dass sie damit einen Mercury Prize gewinnen könnte, abgesehen davon, dass TikTok sie unlängst als Bi-Icon entdeckt hat. Alle Sympathie und alles Wohlwollen sind durchaus verdient. Ihr drittes Album ist ihr am klarsten definiertes. Mit einem eigenwirksamen Mix aus Humor und Abfuck gelingen ihr ein paar absolute Hits - aber trotzdem ist da ein Layer der Quirkiness, der "Euro-Country" davon abhält, so richtig großartig zu sein.

Dabei beginnt das Album mit einem kleinen Exkurs. Während alles ab Track vier trotz ein paar Celtic Pop-Ornamenten durchaus auch auf die handelsübliche Sadgirl-Indie-Playlist passen würde (absolut wertneutral gemeint), geht der Albumeinstieg wirklich hart auf den Pop-Country. Es fühlt sich fast ein bisschen an, als würde der Anfang eine etwas andere Ära vorgreifen, während die zweite Hälfte eher auf das Vorgänger-Album gepasst hätte.

Macht aber nichts, weil beide Sounds gut funktionieren und der eröffnende Titeltrack mitsamt dem Übergang zu "When A Good Man Cries" wirklich Eindruck macht. CMAT versteht, wie man aus dem Irish Folk eine Menge Singalong-Wucht mitnimmt, während der Country als Rückfeder wunderbare Grooves und Texturen gibt. Das hört sich wunderbar an.

Inhaltlich überrascht es, wie sehr man hier als Nicht-Ire tatsächlich auf die Genius-Annotations angewiesen ist. Wer sind Bertie, Cú Chulainn oder Kerry Katona? [Auflösung: Bertie Ahern ist ein korrupter Politiker, Cú Chulainn ist ein Sagenheld der irischen Mythologie und Kerry Katona sang in der Girlgroup Atomic Kitten, die ich grundlos immer mit Vanilla Ninja verwechsele, Anm. d. Aut.] Man lernt über die goldene Celtic Tiger-Zeit des Landes und den darauffolgenden Zusammenbruch, der großes wirtschaftliches Elend übers Land gebracht hat. Es ist eine spannende, kompakte Vignette, wirklich komplett durchzogen von überzeugendem Lokalkolorit. Da schwingt eine Melancholie mit, das eigene Land eigentlich mögen zu wollen - und trotzdem ob der Perspektivlosigkeit viele Freunde davonziehen zu sehen.

Trotzdem hat CMAT die Angewohnheit, wirklich ... viel mit ihren Lyrics zu wollen. Das funktioniert wie eben beschrieben, manchmal gut, kann aber auch kontraproduktiv sein. "When A Good Man Cries" nimmt eine relativ simple Paardynamik und überlädt sie von hinten bis vorne mit eher überflüssigen christlichen Bildern, literarischen Verweisen und allem möglichen sonstigen Songwriter-Brimborium. Man möchte fast an einen Hozier denken, der auch keinen Song über einen guten Arsch schreiben könnte, ohne mindestens eine riesengroße Metapher über Captain Ahab und Ephrabim-Ronaldinho, den siebten Erzengel des Nordostens, aufzumachen.

Die sehr großen Töne werden dann aber auch recht bald abgerüstet, weil das Album nach dem ersten Drittel deutlich direkter und persönlicher wird. "The Jamie Oliver Petrol Station" ist frustrierend, weil es die beste Hookmelodie mit den klobigsten Lyrics kombiniert. Die erste Strophe macht noch Bock: Sie sieht an der Tankstelle ein Poster von Jamie Oliver und nimmt uns auf ihren inneren Monolog mit, warum der ihr so sehr auf den Keks geht. Aber statt das weiter zu vertiefen, geht sie mit der Line "Mm, this is making no sense to the average listener" Meta und der Track schrammt ins absolute Nichts. Entschuldigung, man muss sich nicht selbst dazu gratulieren, was für eine random Ulknudel man denn sei. Es war auch wirklich kein Verse, den man so nicht verstanden hätte. Auf Verse drei wird dann noch einmal betont, dass alle im Backstage CMAT so ausgesprochen crazy finden - man muss es nicht verstehen. Das ist hundsgemein, denn die Hook über den sehr treibenden Beat geht absolut dumm.

Generell besteht der Mittelteil des Albums aus feministisch inspirierten Beziehungssongs, die sich alle ein bisschen wie early Wet Leg anfühlen. Ja, manchmal ist ein schmissiger One-Liner dazwischen, aber oft kommt die Ironie auch nicht so subtil daher, wie vermutlich geplant. "Take A Sexy Picture Of Me" hat tierischen Singalong-Faktor und wurde wahrscheinlich deswegen zu einem größeren TikTok-Hit - aber es hat schon etwas von einem erstsemesterigen Crowdpleaser. Das verarscht sie auf "Iceberg" wenig später dann ja selbst gekonnt mit der Line "Where'd you go, crazy girl boss?".

Das letzte Drittel scheint die gelungenste Passage zu sein. Es fühlt sich alles ein bisschen weniger an, als hätte sie die Lyrics bei einem Stand-Up geworkshoppt. Es ist alles weniger Showtune, alles weniger Tumblr, sondern direkter und persönlicher. "Coronation St." erzählt aus ihrer Zeit in Manchester, "Lord, Let That Tesla Crash" zeichnet ein Bild von einem Tesla vor dem Haus einer geliebten, verstorbenen Person, der das Vergehen der Zeit unübersehbar macht. "Running/Planning" geht launig-selbstzerstörerisch über eine zum Scheitern verurteilte Beziehung.

Viele Leute loben CMATs Humor, vielleicht muss man dafür die Zielgruppe sein, denn auf "Euro-Country" überzeugen vor allem die ernsteren Songs. Die Tagline "irische Chappel Roan" schlägt natürlich ein wie eine Bombe, aber da ist definitiv eine ganze Menge großartigen musikalischen Gespürs, das CMAT von der Masse absetzt. Vielleicht kommen andere Hörer auch deutlich besser auf ihren persönlichen Stil an Lyrics klar. Fest steht auf jeden Fall, dass die Welle der Frau alsbald nicht abklingen wird und sie ohne Frage alles Handwerkszeug hat, für die kommenden Jahre ein prägendes Gesicht des Europops zu werden.

Trackliste

  1. 1. Billy Byrne From Ballybrack, The Leader Of The Pigeon Convoy
  2. 2. EURO-COUNTRY
  3. 3. When A Good Man Cries
  4. 4. The Jamie Oliver Petrol Station
  5. 5. Tree Six Foive
  6. 6. Take A Sexy Picture Of Me
  7. 7. Ready
  8. 8. Iceberg
  9. 9. Coronation St.
  10. 10. Lord, Let That Tesla Crash
  11. 11. Running/Planning
  12. 12. Janis Joplining

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1 Kommentar

  • Vor einer Sekunde

    Sehr gutes Album, finde die Vergleiche mit Chappell Roan aber auch unnötig, da es doch große Unterschiede gibt. Ich kann mit Chappell so nix anfangen, obwohl ich es wirklich oft versucht habe. Mit CMAT sieht es schon anders aus, genau meine Richtung. Musik ist auch viel experimenteler, ja auch spaßiger und die Texte sind extrem bissig. Vor allem die Europa-bezogenen Texte, vor allem der finanzielle Kollaps von Ireland, Eurokrise und an der andere Seite wohlstandsverwahrloste Teens geben mir mehr als tie X-te Version von American Dream. Das Problem ist nur dass die ersten 6 Song alles auf einmal verballern und es ab Song 7 recht ruhig, zu teilen auch belanglos und langweilig wird. Anspieltipps definitiv "When a Good Man Cries" und "Tree Six Foive".