laut.de-Kritik

Kathartischer Art-Pop mit Stargast John Cale.

Review von

Tee aufbrühen, meine Lieben, es gibt Neues von der walisischen Pop-Elfe. Ihre Mercury-Prize-Nominierung liegt schon sechs Jahre zurück und auch sonst ist leider davon auszugehen, dass der Ruf von Cate Le Bon trotz knapp 20-jähriger Karriere noch nicht an allen Rändern des Spektrums der für Avantgarde-Pop offenen Musikliebhaber*innen angekommen ist. Was für ein Verlust! Diese Review will diesen Rändern nun näher kommen. Denn wer sich für den Musikgenuss gerne mit heißem Getränk (oder einer Wärmflasche) zurücklehnt, ist bestens gewappnet für Cates Liederzyklus aus Herzschmerz, Niedergeschlagenheit und Verzweiflung.

"Michelangelo Dying" macht keine neuen Themenfelder auf und operiert auch musikalisch im erwarteten Le-Bon-Terrain. Das ist eine gute Nachricht für alle, die dank vorliegender Platte erst auf die 42-Jährige aufmerksam geworden sind. Ihnen eröffnet sich mit den vorangegangenen Platten "Pompeii" (2022) und "Reward" (2019) ein gewaltiges Sound-Universum. Allen Eingeweihten wiederum könnte die neuerliche Vorstellung hier und da ein wenig zu bekannt vorkommen. Dafür ist mit John Cale jetzt der Featurepartner zu Gast, auf den Cate Le Bons Musik nun wirklich schon jahrelang auf Knien entgegen rutscht.

Eine Sache allerdings hat "Michelangelo Dying" seinen Vorgängern voraus: Das Timing zu Herbstbeginn, wo diese Musik hingehört. Das war einmal anders, aber mit ihrem wundervoll-schrulligen New-Wave-Folk-Meisterwerk "Crab Day" von 2016 hat das hier nichts mehr zu tun. Dass nun noch Le Bons langjährige Beziehung in die Brüche ging, konnte ihre Musik kaum melancholischer machen, beeinflusste aber selbstverständlich den Kompositionsprozess.

Eine Trennung gleiche zunächst einer Amputation, könne einen aber retten, befand die Musikerin und suchte diese Erlösung auch in der Musik. Spuren dieser Suche erkennt man nur in den Texten. Wie immer führen warm schillernde Synthesizer, verfremdete Bläser und knöcherne Gitarren auch auf "Michelangelo Dying" zu erhabenen, von Wiederholung geprägten Soundscapes, die zwischen Traurigkeit ("Love Unrehearsed"), Trostlosigkeit ("Pieces Of My Heart") und Zärtlichkeit ("Is It Worth It (Happy Birthday)?") hin und her pendeln.

Ihre aktuellen Produktionstätigkeiten für Wilco ("Cousin"), Horsegirl ("Phonetics On And On") und St. Vincent ("All Born Screaming") hört man zu keiner Sekunde heraus. In der majestätischen Ballade "Is It Worth It (Happy Birthday)?" mit offensichtlicher Bowie-Färbung breitet Le Bon all ihren Schmerz aus: "I'm checking out / Even with my language in him / I'm checking out / It's me still crying through his eyes." Doch eine Trennung tangiert nicht nur eine Person: "I thought about your mother / I hope she knows I loved her."

In der kalifornischen Joshua-Tree-Wüste, wo Teile des Albums entstanden sind, fühlte sie sich "auf beruhigende Weise unbedeutend und alterslos", findet Le Bon für diesen karthatischen Akt erklärende Worte. In "About Time" lässt sie nach dem bedrückenden "Pieces Of My Heart" ein wenig Licht herein, doch die Grundstimmung bleibt düster bis verschwommen. Da kommt einer wie Cale natürlich genau richtig. Wie weit man sich von seinem Frühwerk künstlerisch entfernen kann, dürfte auch Le Bon faszinieren.

Beide eint viel mehr als die gemeinsame Heimat Wales, etwa die Vorliebe für ätherische Stimmungen und morose Herbstlaub-Psychedelik, die im Falle von Cale zuletzt oftmals in anstrengend esoterische Muster verfiel. "It's a ride / It's a ride / It's a ride / It's a real rodeo", singen sie schief in einem verwunschenen, seltsam anziehenden Duett, das von einem 70er-Jahre-Cale-Album stammen könnte, was herzerwärmend ist, da sich der 83-Jährige diesen Kunstgriff auf seinen eigenen Platten stets verbittet.

"Didn't do it right / and now I'm older than Lady Diana" ächzt Le Bon im abschließenden "I Know What's Nice" und nun möchte man sie wirklich dringend in die Arme nehmen, und sei es nur für all die Strapazen, die sie zur Entstehung dieses abermals intensiven Werks in Kauf nehmen musste. "Michelangelo Dying" festigt Cate Le Bons Ausnahmestellung im experimentellen Pop und wirkt wie der Endpunkt einer Entwicklung. Wenn dies das Album sein sollte, das eine Trilogie abschließt, darf man sich auf alles Kommende freuen.

Trackliste

  1. 1. Jerome
  2. 2. Love Unrehearsed
  3. 3. Mothers Of Riches
  4. 4. Is It Worth It (Happy Birthday)?
  5. 5. Pieces Of My Heart
  6. 6. About Time
  7. 7. Heaven Is No Feeling
  8. 8. Body As A River
  9. 9. Ride
  10. 10. I Know What's Nice

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