laut.de-Kritik
Hollywood zum Hören.
Review von Philipp KauseEs ist Erkältungszeit, und man möchte Celeste Epiphany Waite ein Salbeibonbon reichen, wenn sie "On With The Show" anstimmt. "Got a little bit of sense left", krächzt sie. "Now you took most of that", fährt sie mit belegt-brüchiger Stimme heiser fort: "Just a little dance to get where we must get to." Hat man sich gerade an das seufzende Maunzen und die ruhige Stimmung gewöhnt, bricht es aus der Romantikerin unerwartet heraus: An der Seite eines Streichorchesters legt sie eine inbrünstige Tirade aufs Parkett. Genauso abrupt und mitten im Takt erstickt das Miniaturdrama auch wieder – eine Operette des Neo-Soul.
Die Jazz-Liebhaberin fordert auf ihrem Zweitling "Woman Of Faces" die eigene Stimme immer wieder so heraus, dass nicht ganz klar wird, ob sie mit Tonhöhen und Atemluft kämpft oder ob es schon Kunst ist, dass sie an die Grenzen ihrer Unbeschwertheit und ihres Lungenfassungsvermögens stößt. Am Vocal-Jazz der 1930er bis 1960er geschult, aber durchaus auch mit The Clash und Siouxsie in der mütterlichen Plattensammlung aufgewachsen, wächst die Tochter eines Jamaikaners in Südengland auf und hat immer ein Ohr am Sound aus Übersee.
Der Drum'n'Bass sticht im programmatisch betitelten "Could Be Machine" noch als englischste Merkmal heraus. Nach einem plötzlichen Bruch verliert sich das Stück in einer atmosphärischen Schweigeminute. Der Track vertont, wie Celeste unter Trollen auf ihren öffentlichen Profilen und unter einem privaten Anruf-Stalker gelitten hat, wie sie dem NME sagte. Beide Erfahrungen verstärkten ihre Skepsis bezüglich Technologie, die sich in dem Stück manifestiert.
Gerne hätte sie mehr Tracks wie "Could Be Machine" auf der Platte gehabt, erzählt sie in einem Interview mit Apartamento. Bezüglich des Sounddesigns habe ihr eine Balance aus sinfonischen Elementen und Dystopie vorgeschwebt. Drei Wochen vor dem Release schrieb sie dann auf Instagram, Polydor schüchtere sie ein: Wenn sie bestimmte Tracks mit Gothic-Vibe nicht weglasse, entziehe ihr das Label die Unterstützung. Als der NME bei der Plattenfirma nachhakte, kam kein Kommentar.
Auch der sinfonische Trip Hop von "This Is Who I Am" sorgt am Ende für eine überraschende Wendung. Frühe Celeste-Tunes, etwa "Coco Blood" und "Father's Son", spielten bereits mit schepperndem Bassrumpeln, Elektronik und verschrobenen Beats.
"Woman Of Faces" gerät zu einem teils dick auftragenden und recht amerikanisches Werk, eine Art Hollywood zum Hören: Die Musik könnte theoretisch auch als Soundtrack eines Films fungieren, der in der Epoche der großen Swing-Orchester, von Sinatra und Billie Holiday angesiedelt ist. Auf Social Media spekulieren Fans schon darüber, die 31-Jährige würde wohl bald für den nächsten Bond-Score verpflichtet. Und sicher, Spannung liefert Celeste in jedem Takt des Titelstücks oder in "Keep Smiling".
Vom gelassen tänzelnden Stil ihres Debüts bleibt abseits des gesangsfokussierten "Time Will Tell" nun nicht mehr gar so viel übrig. Vielmehr neigt die Platte trotz kontemplativer Momente zur Überinszenierung. In "Happening Again", wo Streicher im Trillerton-Wirbelsturm dissonant gegen die Vocals arbeiten, funktioniert das Spektakel gleichwohl.
Intros mit Piano wie noch vor ein paar Jahren zum Beispiel in "Stop This Flame" finden vom Opener abgesehen kaum mehr statt, obwohl ein uraltes Klavier beim Entstehen mehrerer Songs beteiligt war. Mitunter kommen die Tracks ohne Beats, Drums und Percussion aus. "People Always Change" sampelt den Minimal-Komponisten Philip Glass. Im Bonustrack "Carmen's Song" begleitet eine Flöte Celestes ernsten Vortrag.
Obwohl ihre Vocals durchweg sehr raumfüllend und präsent wirkt, bleibt die Künstlerin auf seltsame Weise in der Distanz, und so muten die geäußerten Gefühle manieriert an, obwohl der PR-Text kolportiert, die LP sei "aus Schmerz geboren". "Aber ich lebe nicht täglich in meinem Schmerz", differenziert Celeste in der Zeitschrift Marie Claire. "Vieles entsteht auch im Beobachten von Menschen, aus dem Mitfühlen mit der Last, die andere tragen."
Dennoch gestaltet sich die Produktion unterm Strich hübsch, trotz der nicht so recht konsistenten Art, wie die Mixes entstanden sind. Denn "wie einige von ihnen final produziert wurden, entspricht nicht immer genau dem, was ich ursprünglich fühlte", so die Singer/Songwriterin fort. "Es sind Kompromisse, die passieren, wenn viele Hände beteiligt sind." Gerne hätte sie in den jazzigen Parts wie Nubya Garcia geklungen, dafür habe sie aber keine Mitstreiter gehabt, schreibt der NME. Zu wünschen wäre ihr, dass sie sich mal auf einem Live-Album authentischer entfalten kann.


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