laut.de-Kritik

Trotz guter Ansätze: Zu viel Eintönigkeit und Tristesse.

Review von

Auf "Square 1" fordert Charlie Winston mit Nachdruck unsere Aufmerksamkeit ein. Diese Haltung ist prima, versinken doch genügend Singer/Songwriter in sich selbst und lassen den Willen vermissen, ihr Leid und ihre Gedankensprünge zu erläutern. Winston dagegen gibt den Anspruch zu erkennen, uns nahe zu kommen.

Kurz nach seinem 40. Geburtstag erscheint das Album des One Hit Wonder-Sängers. Wir haben ihn von "Like A Hobo" im Ohr, weil uns die meisten Radiostationen diesen Titel einst gefühlt viertelstündlich ins Bewusstsein pusteten. Ein weiterer "Hobo" blieb leider aus. Talent und Output sind aber bei dem Engländer reichlich vorhanden.

Der besonders treue Charlie-Chronist oder Fan wird feststellen, dass es "Square One" auch schon mal als Songtitel gab. Auf dem nie erschienenen Album "Passport" (2009). Überhaupt ist manches nicht zu bekommen, so der erste Live-Mitschnitt, das erste richtige Album und ein Soundtrack aus der Zeit 2007 bis 2009.

Square heißt Quadrat. Quadrat 1? Das Kästchen Nummer Eins auf einem Brettspiel, frei nach "Case 1", der französischen Version des Albumtitels. Außerdem übersetzt man Square mit Platz, Winkel und "langweiliger Spießer". Nehmen wir mal an, das Album - sein vierter in Deutschland veröffentlichter physischer Longplayer - heißt übersetzt "Langweiliger Spießer 1". Dann überrascht uns der Song "Here I Am" mit einer Darstellung des Scheiterns in der Schule. Nun ja, das ist kein klassisches Thema für Spießer, geht's denen doch mehr darum, nicht aufzufallen. Mit dem Bekenntnis zu schlechten Schulnoten fällt man auf. Doch obwohl der Song von einem der berühmtesten Koraspieler Westafrikas bis zu einem ausgeklügelten Text vieles auffährt - hängen bleibt er aber nicht. Augenzwinkernd wirkt "Here I Am" auch nicht, eher voller Selbstmitleid. Und so geht es Lied um Lied.

Grausamkeiten muss man am Anfang erledigen, wusste schon Macchiavelli. Entsprechend steigert sich Winston vom ersten bis zum letzten Song beträchtlich. Am Anfang müssen wir brav zuhören und uns auf die Folter spannen lassen. Die ausdrucksstärkeren Tracks warten dann weiter hinten. Als ein neuer Hit-Anwärter flutscht "The Weekend" direkt in Ohren und Beine. Auf das starke Riff der ersten sechs Takte folgt ein Text im Stile einer Bedienungsanleitung: Was tut man, um das Wochenende zu starten? "Roll the window down, let the wind blow in, turn the volume up, let the rhythm kick it, week is out, day is done (…) on the weekend we can let our head down to the sound of summer and just dance, on the weekend we just dance."

Während die erste Hälfte der CD mit spärlicher Instrumentierung daherkommt und "Airport" sogar überwiegend nur Gesang und Piano enthält, tut sich nach hinten raus einiges. Zu "Airport" erschien ein paar Tage vor dem Album-Release ein sehr schlicht gehaltenes Video. Es zeigt Charlie Winston, von der Seite gefilmt, beim Singen, im Sitzen. Das ist alles. Die Reaktionen waren durchweg voll überschwänglichen Lobes. Der Song sei emotional. Ja, das stimmt. Angeblich handele es sich um die Geschichte eines Migranten an einem Flughafen. Nachvollziehbar scheint das nicht, wird jedoch von Winston selbst in einem Interview mit n-tv bestätigt. Man fragt sich jedoch (sofern man sich bei diesem Thema überhaupt rationale Fragen zu stellen traut): Wann reisen Migranten über den Flughafen ein und wie soll Winston diese Situation gut beurteilen können?

"Until Tomorrow" überrascht nach drei ruhigen Minuten mit einer Wendung. Der Song kippt in einen dichten, panischen Gitarrenwand-Sound, inszeniert von Winston und Fink. Der gepeitscht klingende Schluss punktet auf jeden Fall mit Dramatik. Aber richtig überzeugend wirkt auch diese Komposition nicht. Handwerklich ist das Album dagegen brillant gespielt. Winston singt energisch bis bemüht, wenngleich immer in derselben verzweifelt und resigniert klingenden (und zu hohen) Tonlage.

In "Losing Touch" zeigt sich der Einfluss seines Förderers und Lehrmeisters in Sachen Musikmarketing, Peter Gabriel. Der Song greift auf das indische Instrument Tabla zurück, das auch in "Spiral" und "Here I Am" zum Einsatz kommt. Dieser ausgereifteste Beitrag auf der CD gehört schon ins Feld der "Weltmusik", so abgenutzt der Begriff auch manchmal klingt.

Auf Peter Gabriels Label Real World Records fing Charlie Winston einst an und von Gabriel übernimmt er wohl auch zwei Stilmittel: das Stöhnen und Wimmern anstelle des Singens von viel Text. Gabriel konnte gut die Silben lang ziehen, auch Winston hält Töne über viele Takte. An das melancholische "In Your Eyes" von Gabriel erinnert "Losing Touch". Auf textlicher Ebene lehnt sich der Song an Peter Gabriels haptische Art der Formulierungen an: Ums Fallen geht es hier, um "separation in the air", Berührung/Kontakt verlieren, an der Spitze stehen, das sind ein paar Bauteile.

Leider besitzt das Album trotz aller guten Ansätze und Versuche keinen rechten Biss. Es verbreitet keine besonders positive oder optimistische Stimmung, eher Verzagtheit und Tristesse. Für den klagenden Gesang kann sich Winston natürlich gerne entscheiden. Doch es fehlen freche, humorvolle und lässige Momente. "Down, I go down, through the doors of the past" gibt er in "Spiral" die Losung aus: Es geht abwärts und zwar in Richtung Vergangenheit. Autsch! Toller Albumeinstieg, so weiß man gleich, dass es überwiegend depri wird.

Eine Live-Aufnahme würde das Album sicher gut ergänzen, um einmal das Feedback des Publikums mitgeliefert zu bekommen. So aber erschlägt einen der einseitige Input. Der Künstler bleibt die Songs schuldig, die alltagstauglich oder uplifting wären. Die Texte machen einen gut durchdachten Eindruck - das wäre nicht das Problem. Aber der Funke springt einfach nicht über.

Trackliste

  1. 1. Spiral
  2. 2. Here I Am
  3. 3. Feeling Stop
  4. 4. Photograph
  5. 5. The Weekend
  6. 6. Rendez-Vous
  7. 7. Airport
  8. 8. Until Tomorrow
  9. 9. Losing Touch
  10. 10. Lost In The Memory
  11. 11. Get Up Stronger

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