laut.de-Kritik
Eine Art musikalische Entschuldigung nach der Timbaland-Platte.
Review von Kai ButterweckDie geschrumpfte Grunge-Gemeinde sah ihren einstigen Helden bereits fallen, als sich Chris Cornell mit seinem letzten Solo-Output "Scream" in die Obhut von Timbaland begab und der Gitarren-orientierten Gefolgschaft klatschende Ohrfeigen verpasste. Während sich die oberflächliche Anhängerschaft abwandte, warteten die verbliebenen treuen Seelen seither auf eine Art musikalische 'Entschuldigung' ihres Maestros.
Nachdem die Ankündigung der Soundgarden-Reunion Anfang 2010 erste Tränen trocknete, glättete die gut ein Jahr später folgende Solo-Tour des Ausnahme-Shouters endgültig alle Wogen. Mit einem Rundum-Paket seines bisherigen Schaffens zog Cornell durch die Staaten, schnallte sich die Akustische um den Hals und duellierte seine Stimme mit dem Sechssaiter so lange, bis auch der letzte Anwesende der Songbook-Tour gerührt und aufgewühlt die Worte sprach: "Ich verzeihe dir."
Ein Querschnitt dieser Happenings findet nun in Form des Live-Albums "Songbook" den Weg in die einschlägigen Plattenläden und dürfte sich bei vielen Flanellhemd-Trägern demnächst unter der geschmückten Nordmanntanne breitmachen. Auf insgesamt sechzehn Songs beweist der Beau der Branche, warum nicht selten sein Name fällt, wenn es um einen ehrwürdigen Robert Plant-Ersatz bei Led Zeppelin geht.
Mit "Thank You" gibt Cornell jedenfalls schon einmal eine Empfehlung für seine Qualitäten als potenzieller Sänger der seit der London-Reunion 2005 auf Eis liegenden britischen Rock-Legende. Auch John Lennon dürfte beim Hören von Cornells "Imagine"-Interpretation im Grabe mit der Zunge schnalzen. Selten wurde dieser eigentlich schon totgespielte Evergreen dermaßen intensiv und berührend intoniert.
Neben diesen beiden mehr als gelungenen Cover-Versionen kredenzt Cornell mit den restlichen vierzehn Tracks ein buntes Potpourri seines eigenen Katalogs. Obendrein flicht er mit "Cleaning My Gun" und der Studioversion von "The Keeper" noch zwei brandneue Tracks ein. Soundgarden, Solo-Alben, Audioslave, Temple Of The Dog: Der Mann aus Seattle lässt nichts aus. Warum sollte er auch? Wahrscheinlich hätte Cornell an jenen Abenden im Frühjahr 2011 selbst einem Justin Bieber-Song zu Tiefgang und Qualität verholfen.
Der Audioslave-Split vor gut vier Jahren scheint jedenfalls keine größeren Spuren bei Cornell hinterlassen zu haben. Während sich mit "Black Hole Sun" und "Fell On Black Days" gerade einmal zwei Soundgarden-Songs auf "Songbook" tummeln, wird der Audioslave-Phase mit "I Am The Highway", "Wide Awake", "Doesn't Remind Me" und "Like A Stone" schon wesentlich eindringlicher die Ehre erwiesen.
Letztlich spielt das aber nur eine sekundäre Rolle, denn Cornell verpasst jedem einzelnen Song, durch die eindringliche Art und Weise seiner Präsentation, eine komplett eigene Identität.
Es bedarf schon großer Kunst, all die verschiedenen Facetten der Originalversionen in ein einheitliches und homogenes Akustik-Gewand zu stecken, ohne dass sich auch nur ein einzelner Vers als Fremdkörper erweist. Chris Cornell bietet große Kunst. Vom stimmgewaltigen Opener "As Hope And Promise Fade", bis hin zum an Intensität kaum noch zu überbietenden "Imagine"-Finale erweist sich der Amerikaner vor allem vom Organ her in der Form seines Lebens.
Zwischen tiefem Soul und rauchigem Rock pendelt des Barden modulierter Schall eine Stunde lang erhaben hin und her, während die Akustische - begleitend und dezent bearbeitet - für den nötigen intimen Background sorgt.
Selten hinterließen sechs Saiten und eine Stimme einen derart bleibenden Eindruck. Hoch oben thronen sie, die Auserwählten, die mit kleinsten Mitteln künstlerisch Übermenschliches vollbringen können. Sie heißen Bruce Springsteen, Eddie Vedder oder auch Billy Bragg. Willkommen im Club, Mister Cornell.
5 Kommentare
Definitiv eine der größten aktuellen Stimmen im Rock.
Klingt von der Beschreibung her wie eine Stunde lang Stimmeskarpaden mit alten Tracks. Durch die ganzen Castingshows und die anschließende Fixierung auf Gesangsstimmen bin ich da eher abgeturnt.
Klar, das Material stimmt, aber es ist bis auf zwei Stücke schon hinlänglich bekannt. Ich wäre von Cornell also eher beeindruckt, wenn er seine ach so tolle Stimme mit wirklich gutem neuen Material unterlegte.
Ich bin wahrlich kein Freund von Livescheiben, aber die Rezension macht durchaus Hunger.
Ich mag den Mann wirklich überaus gerne, aber die Stimme ist auf dieser Scheibe so megapräsent und sägend, dass es einfach too much ist ...akustik ist zwar super, aber eine Backingband wäre hier imo besser gewesen, irgendwann wirds sonst einfach öde.
Krasses Teil 5/5 völlig gerechtfertigt !