laut.de-Kritik
Dance-Pop aus dem karibischen Ghetto.
Review von Philipp KauseWas Justin Timberlake für die USA ist, schien für ein Entwicklungsland kaum vorstellbar. Die Musikindustrie vermarktet Länder Lateinamerikas, Afrikas oder der Karibik lieber unter dem Label der Exotik, der 'Authentizität' oder des Cultural Clash als Pop. Doch auch karibische Länder haben ihre TV-Casting-Shows. Auch hier stehen Pop, Dance und R'n'B ganz oben auf der Werteskala: Die jungen Talente wollen raus aus ihren Ländern, der Musik des reichen Westens frönen.
Jetzt könnte man aufhören mit der Geschichte - gingen nicht gerade etliche, wirklich professionelle Gesangsstimmen Jamaikas aus diesen Castings hervor: Sevana, Tessane Chin oder Christopher Martin. Letzterer macht auf seinem zweiten Album "And Then" lupenreinen Pop. Drei Dinge aus Jamaika nimmt der smarte Tänzer und Frauencharme auf seine Reise in Richtung Kommerz mit: Sehnsüchte, 'Upliftment' und das Bewusstsein für Armut.
Seine Musik handelt von vielen Sehnsüchten: Sehnsucht nach einer Ex-Partnerin ("Cause I miss you and I want you to know that I still got feelings for you"), nach einem besseren Leben ("Cause life gave me lemons and I made lemonade"), nach Bewunderung ("Mirror mirror on the wall, am I the prettiest of them all?"), nach "True Love" und Optimismus. Viele Musikstile der Karibik, ob kubanischer Son, Soca aus Trinidad, Bachata aus Dom'Rep oder Reggae/Dancehall aus Jamaika, tragen eine unbestimmte Traurigkeit in sich. Christopher Martin bewahrt jenes Flair auch in seinen poppigsten Momenten. Vom Reggae saugen diese nur den Rhythmus und vom Dancehall nur die digitalen Beats ab.
Zumindest auf Platte, denn Christopher gibt klassische Roots-Konzerte, verzichtet dann auf Laptop-Sound und geht mit einer herausrragend guten Combo, der Ramdonz Band, ins Rennen. Der CD hätte es nicht geschadet, wenn deren Medleys voller Spielfreude und "Pull Up!"-Style sowie die charismatische Background-Sängerin Kay stattfinden würden. Das alles hört man hier nicht, wodurch "And Then" unnötig brav und aus dem Kontext gerissen wirkt. Auf der anderen Seite entsteht ein störungsfreier Feelgood-Sound. Die Grooves und die klare Stimme Christopher Martins machen sofort Laune, sofern man mit Offbeat zurechtkommt.
Bei aller 'Clean'-Attitude des Künstlers: Dancehall hat zumindest in Deutschland ein Akzeptanzproblem. Da kommt Christopher gerade recht. Ein Dancehall-Act muss für den hiesigen Markt maximal abgeschliffen werden und so harmlos wie möglich klingen. So gerieten zahlreiche Acts ab den Nullerjahren unter Generalverdacht, homosexuelle Menschen töten zu wollen. Hysterie überlagerte jede sinnvolle Diskussion und traf auch völlig unbescholtene Künstler, die eben zufällig auch aus Jamaika stammten. Einreiseverbote und ein schlechter Ruf, der dieser Musik vorauseilte, waren die Folge.
Christopher Martin absorbiert nun alles, was es für einen Neuanfang braucht: Er kann wirklich singen, was viele Dancehall-Schreihälse nur mit heftigem Auto-Tuning hinbekommen. Seine Texte sind frei jeder Zweideutigkeit und so einlullend wie Hollywood-Romanzen. Er sieht smart aus, ist durchtrainiert und hat keine Dreadlocks. An Nettigkeit lässt er sich kaum überbieten und leidet nicht an Verbitterung übers böse Babylon. Ein Popstar.
Er gibt sich auf der Bühne und im Umgang mit der Presse konzentriert, er kifft nicht bei Interviews und stottert auch keine Bibelzitate. Mit ihm kann man sich unterhalten, ohne über Jah und die Twelve Tribes of Israel Bescheid zu wissen. Seine Songs sind entsprechend befreit von religiöser oder politischer Aufladung. Wenn er über die Liebe singt, verwendet er gängigen Wortschatz statt sexistisch fehlinterpretierbare Patois-Wörter.
Eines lässt er sich dennoch nie nehmen, einen Markenkern von gut gemachter Dancehall- und Roots-Musik: Seine Texte ermutigen, betonen positive Erfahrungen und formulieren positive Ziele, die Sounds sind 'up-lifting'. "And Then" geht in zweierlei Hinsicht als Konzeptalbum durch: Weil es musikalisch von schnelleren zu ruhigeren Songs homogen im Spielfeld des Dance-Pops bleibt, und weil alle Texte davon handeln, dass es im Leben nichts gratis und nichts zufällig gibt. Schon im Opener "Life" weiß er, dass er die Dame seines Herzens am besten mit einem teuren Hotelzimmer in Paris beeindrucken müsste bzw. es gerne tun würde, um ihr etwas bieten. Diese Idee liegt fast allen Songs zugrunde.
Von der Platte bleiben schon beim ersten Durchlauf viele Melodien haften: "Come Back", "Can't Dweet Again", "Still Got Feeling" und "I Do It All" brillieren. Die Soundqualität ist bei aller Lieblichkeit anders als bei vielen Dance-Pop-Produktionen hervorragend. Die Musik lässt sich fühlen, sie hat Messages und bietet trotzdem gutes Entertainment.
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