laut.de-Kritik

And now: Go to hell!

Review von

Schön, wenn das eigene Wort Gewicht hat. Meine anlässlich ihrer Digital-EP "Dark Samba" 2020 salopp hinausposaunte Ankündigung einer Vinyl-LP ist schon drei Jahre später Realität geworden. Spaß beiseite: Der oberschwäbischen Indiepop-Band stand der Sinn dann doch nach weiteren Songwritingrunden im Proberaum. Der Lockdown wollte schließlich kein Ende nehmen und mehr Freizeit hatte man zuletzt in der eigenen Jugend. So folgten zwei weitere EPs mit jeweils vier Songs, die als gesammelte Werke nun glücklicherweise genügend Stoff für ein reguläres Debütalbum hergeben.

Neben dem Stream und Download ist "Collecting Dust" schon seit einiger Zeit in einer limitierten Vinylversion erhältlich, was allein schon aufgrund des großartigen, strengen s/w-Coverartworks, das leichte Joy Division-Vibes auslöst, eine pure Freude ist. Zeitlos wie das Cover ist auch die Musik, was ich empirisch bereits hier in dieser Kritik belegen kann, klingen doch die vier damals auf "Dark Samba" veröffentlichten Songs heute noch genau so frisch wie 2020. Clean sind nämlich nicht nur hoffnungslose Melodieabhängige, sondern auch Klangästheten und präsentieren ihre Songs in einer auf analoge Wärme ausgerichteten Produktion, die Hörer*innen im Akustikgitarren-Wohlklang von "Archetypster" sofort umarmt. Eine LP-Produktion war somit nur konsequent.

Ähnlich wie die Vertreter des "Quiet is the new loud"-Movements Anfang der 2000er sehen Sänger Toby Hoffmann, Schlagzeuger Jan Harder und Bassist Gabriel Nowotny die Schönheit des Songs in seiner Schnörkellosigkeit. Wenn die Grundidee gut ist, braucht es keinen opulenten Breitwand-Bombast: Das wissen zwar die meisten Bands, mit der Umsetzung tun sich viele dennoch schwer. "All The Lame People" legt einen Gang zu, wie beim Opener schimmert die späte Go-Betweens'sche Prägung durch, während Hoffmann im gutgelaunten Refrain die Idioten dieser Welt auszublenden versucht. Im Titeltrack "Collecting Dust" treibt er seine Stimme erstmals in höhere Gefilde, erneut begeistern Harders und Nowotnys pointierte Rhythmen.

Der voluminöse Basslauf, der "Nothing Touches Me At All" einleitet, trüge problemlos alleine eine 12"-Extended Version. Ein Offbeat rückt Clean dann überraschend in einen Dub-Kontext und ergänzt die PIL- und Police-Assoziationen perfekt. Aus der Reduktion schöpft das Trio eine ungeheure Kraft, die Hoffmanns hypnotisches Songwriting stützt, das er von der imposanten Wall Of Sound früherer Ira-Produktionen nun in einen Kammerpop-Kontext überführt.

Spätestens, wenn er in der traurig-schönen Ausbruchsfantasie "Mama's Boy" die Ukulele auspackt, und die Band ihre Kunst der romantischen Melancholie mit einem Balladenjuwel krönt, ist man den eigenen Gefühlen hilflos ausgeliefert. Ich bin halt auch keiner der von Hoffmann besungenen harten Männer alter Schule, wäre deshalb manchmal gerne John Wayne, "but I'm just a little wimp / I am always Mama's boy".

Nowotnys Bassspiel ist das Herzstück des Albums, schiebt auch "One More Time With Meaning" unerbittlich voran, das wie eine Unplugged-Version eines Postpunk-Klassikers klingt. Da darf es sich Hoffmann locker erlauben, den Songtitel an die Nick Cave-Doku "One More Time With Feeling" anzulehnen. Analog zur Musik lässt er immer wieder Textzeilen frei im Raum schweben, um sie wirken zu lassen, besonders gelungen etwa in "Drama Galore": "I have found you / not somebody else".

Seine Texte lassen wie üblich Raum zur Interpretation, so dass man fast schon erschrickt, wenn er im ruhigen Folk-Flow von "Go To Hell" plötzlich explizit wird: "What better time than now to kill / what better time than now to hate / to leave it all behind". Beinahe schade, dass die Band noch das fröhliche "OK Let's Sleep" nachschiebt, denn für diese klug mit kompositorischen Unwuchten spielende Silent-Indie-Meisterleistung hätte es keine schönere Schlusszeile geben können als: "And now ... go to hell."

Trackliste

  1. 1. Archetypster
  2. 2. All The Lame People
  3. 3. Collecting Dust
  4. 4. Nothing Touches Me At All
  5. 5. Drama Galore
  6. 6. Mama's Boy
  7. 7. One More Time With Meaning
  8. 8. Fun Stops
  9. 9. Shut The Land
  10. 10. Young Singers
  11. 11. Go To Hell
  12. 12. OK Let's Sleep

Noch keine Kommentare