laut.de-Kritik
Kauziger Indiefolk aus der Kinderwagenstadt.
Review von Martin LeuteNach der Auflösung der englischen Indiefolk-Kultband Hefner hat deren Mastermind Darren Hayman jetzt mit der Begleitband The Secondary Modern sein mittlerweile drittes Album eingespielt.
Mit dieser als Folk-Opera untertitelten Platte widmet sich Hayman dem englischen Trabanten-Städtchen Harlow, das in den 50er-Jahren nach funktionalem Muster angelegt wurde, um den Anforderungen und den Ansprüchen des modernen Lebens in höchstem Maße gerecht zu werden. Was einst als ideale Lebensform galt, entpuppte sich bald als missglücktes Konzept. Das Leben läuft eben nicht immer nach Plan.
"Pram Town" dient dem Singer/Songwriter Hayman also als Folie für seine zärtlichen Geschichten über Menschen, deren Dasein sich in jenem Spannungsfeld zwischen großer Erwartung und enttäuschter Realität positioniert.
"Everything as it should be / How could you live anywhere else?", singt Hayman im sonnigen Titeltrack zu gezupften Gitarrensaiten, Banjo, himmlischen Keyboardklängen und entsprechendem Backgroundchor. Der perfekte Einstieg, um die glänzende Fassade anschließend mit sympathisch kauzigem Gesang dezent bröckeln zu lassen. Und sich den kleinen Dramen des Alltags zu widmen, die Hayman lyrisch wie musikalisch liebevoll ironisch skizziert.
Da fährt einer mit einem Zweite-Klasse-Ticket in der Ersten Klasse der Bahn, um der Angebeteten nahe zu sein und ihr anschließend eine Mix-Kassette zukommen zu lassen ("Compilation Cassette"), da wird nicht nur Lesben der ausgepolsterte Beziehungsspielraum zu eng ("Room To Grow"), oder man grämt sich in "Out Of My League" darüber, dass die Freundin in einer höheren Liga spielt: "She's high in cocaine when I'm doing the same with cheap dope / And she's in on the guestlist when I'm just plus one".
Hayman präsentiert sich stets als gewohnt wortwitziger Erzähler. Zeilen wie "I love her because she lets me" ("Losing My Glue") kann man sich ob ihrer schlichten Wahrheit durchaus aufs T-Shirt drucken.
Vom Trübsinn lässt sich das Folk-Orchester bei aller textlichen Ernüchterung nie übermannen. Drums, Ukulele, Streicher, Bläser, die Melodica oder Glockenspiele agieren jederzeit heiter. Da funktionieren auch verhaltene synthetische Einlagen zu Fingerpicking ("Our Favourite Motorway") oder Bläsersatz ("Rachel And Amy") hervorragend.
Stilistisch pendelt das Ensemble mit diesem großartigen Indie-Folk mit LoFi-Charme zwischen dem abgründigen Witz eines Jonathan Richman, der Ausdruckskraft von The Wave Picture und der Nachdenklichkeit der Mountain Goats.
"I'm the fucking king of Harlow Town / I don't want to be a big fish in a little pond anymore", legt Hayman dem Protagonisten im letzten Track in den Mund. Ob er den dort Ansässigen damit suggerieren will, die "Pram Town" schleunigst zu verlassen, sei dahingestellt. Die von ihm musikalisch inszenierte und wunderbar arrangierte "Kinderwagenstadt" ist jedenfalls unbedingt hörenswert!
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