laut.de-Kritik
Wenn einem Schmutzki wie Punk vorkommt.
Review von Sven KabelitzTrickreich führt "Eine Herbe Enttäuschung" zu Beginn erst einmal auf die falsche Fährte. Wie auf ihren Konzerten, greifen Max Kennel und Jonas Meyer vom Lumpenpack in "Hauch Mich Mal An" nur auf Gitarre zurück und klingen dabei kurz wie eine Light-Version von Joint Venture. Dazu ein sozialkritischer Text mit einer Watsche für AfD-Wähler, Pegida-Gänger, Impfgegner, Reichsbürger und Xavier Naidoo. Mit einsetzender Posaune bewegt sich der Song dann in Richtung Balkan-Pop.
Doch noch im selben Lied nehmen sie Abstand von der Politik und kommen zu ihrem eigentlichen Anliegen: dem Mikrokosmos unseres Lebens. Die möglichst kleinsten Themen, mit denen sich schon jeder einmal herumschlagen musste. Beobachtungen über kurze Hosen, tanzende Mütter, Netflix, Syltaufkleber und Olivenhass. Hier zeigt sich deutlich die Vergangenheit der Beteiligten in der Poetry-Slam-Szene. Immer mit diesem Augenzwinkern, immer mit diesem "Haha, ich kann Ironie", aber glücklicherweise ohne "Grapefruit".
Auch musikalisch kippt "Eine Herbe Enttäuschung" nach dem ersten Song. Ab "Kurze Hosen" klingt das Lumpenpack so, als haben Farin Urlaub und Peter Brugger eine Supergroup gestartet, bei denen sie die Songs verwursten, die ihre Bands vorher abgelehnt hatten. Doch wo Urlaubs Texte bissig sind, bleiben Kennel und Meyer lammfromm. Bloß niemanden verärgern. Bloß keinem auf die Füße treten. Aber so ein Witzchen unter Freunden, das darf doch mal sein. Oder? ODER??? Nur die Nazis, die bekommen alle zwanzig Minuten ihr Fett weg. Immerhin und richtig so.
Seine Tiefpunkte erreicht das Album immer dann, wenn das Lumpenpack, etwa in "Tanzende Mütter" oder dem zum Anfang an den Bangles-Song "In Your Room" (kann man ruhig mal wieder ausgraben) erinnernden "Kurze Hosen", die lauten Gitarren auspackt. Dann kommen einem Schmutzki plötzlich wie Punk vor. In "Professorenrap" und "Angelsimulator 2K10" versuchen die beiden, auf den Trap-Zug aufzuspringen. Inklusive Adlibs. Das Ergebnis fällt ein bisschen gewollt, natürlich plakativ, aber immerhin nicht superpeinlich aus. Das hätte schnell viel schlimmer kommen können.
In "Pädagogen" bricht der im Pack schlummernde Farin Urlaub (angeblich aus Berlin) so deutlich heraus, dass man schon aufs Cover schauen muss, um sicher zu gehen, wem man da gerade zuhört. Wer die siebte "Game of Thrones"-Staffel noch nicht gesehen haben sollte und Spoiler vermeiden mag, sollte einen Umweg um "Pferde Stehlen" machen.
Wenn ein Track Band und Album am besten zufasst, dann ist dies das mittelmäßige Lied über den mittelmäßigen "Mark", der auf dem Mittelaltermarkt sein Leben verdrängt. Die melancholische Weise entwickelt sich zum Highlight unter all den Middlelights. "Jetzt steht der mittelalte Mark / Auf einem Mittelaltermarkt / Wo er mit Plastikschild und Schwert / Sich gegen Midlifecrisis wehrt / Martialisches Geschrei, umspielt von Laute und Schalmei / Ein Gefecht zum Abendrot / Bis alle tun, als wären sie tot."
Nein, das Lumpenpack und ich, wir werden nie die besten Freunde. Mit "Eine Herbe Enttäuschung" sind sie viel mehr der Kerl, den man gelegentlich nur auf Partys trifft. Man steht beieinander, versteht sich ganz gut, raucht den einen oder anderen, spricht über die kleinen Dinge im Leben. Serien oder so. Man lacht ein wenig und knufft sich in die Seite. Danach geht man auseinander, verspricht, sich diesmal ganz sicher mal per WhatsApp zu melden, was natürlich nie geschieht. Schon auf dem Heimweg hat man den Vorsatz vergessen, bis man sich auf der nächste Fete wieder über den Weg stolpert.
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