laut.de-Kritik
Viel Action und Getöse um einen Glam(our)-Star.
Review von Michael SchuhMit Konzert-DVDs ist es so eine Sache. Die einen waren auf besagter Tournee nicht dabei und möchten in trauter Umgebung einfach nur vorbehaltlos die Live-Qualitäten eines Künstlers antesten, die Mehrheit dagegen ersteht das Teil als Erinnerung an eine selbst miterlebte, und im besten Falle unvergessliche Show. Nun bezieht sich "A Reality Tour" logischerweise auf David Bowies letztjährige Tournee zum Album "Reality", und obwohl ich auf dem Münchner Konzert anwesend war, komme ich leider nicht umhin zu bedauern, dass als Grundlage einer Bowie-Live-DVD ausgerechnet jene "Reality Tour" herhalten musste.
Wer ein Jahr zuvor das Glück hatte, auf einem der wenigen, das "Heathen"-Album begleitenden Showcases dabei gewesen zu sein; wem also eines jener seltenen Bowie-Konzerte im Club-Format auf ewig ins Gedächtnis eingebrannt ist, den kann die beinahe protzige "Reality"-Tournee von 2003 und ihre DVD-Konservierung nur ansatzweise begeistern.
Während man in der riesigen, nur halbwegs gefüllten Münchner Olympiahalle mühelos bis in vorderste Reihen tanzen konnte, um eine doch nur halbgare Setlist serviert zu bekommen, passte 2002 in Köln einfach alles: von der fiebrigen Eröffnung mit "Life On Mars" bis zur Verwirklichung des an und für sich ungeheuerlichen Die Hard-Fanwunsches, der Meister möge einmal das komplette "Low"-Album von 1977 am Stück vortragen. Rückblickend gesehen, spürte ich an jenem Tag wohl schon im Vorfeld das nahende Elysion, als ich Kollege Mengeles Haustür zuwarf, ohne vorher von innen den Schlüssel abgezogen zu haben (Noch mal sorry, Martin!).
Die durch das Konzert bedingte grenzenlose Bowie-Euphorie meinerseits hielt immerhin so lange an, dass Bowies "Reality"-Album eine im Nachhinein gehört zu positive Rezension erfuhr. War "Heathen" noch ein beinahe autistisches Rock-Juwel, wagte sich Bowie mit "Reality" wieder an große Posen. Auch die (karge) DVD-Verpackung kündigt einen Glam(our)-Star an, der sich in Szene setzen will. Der Inhalt folgt dieser Ausrichtung. Keine Spur von Zurückhaltung, die riesige Konzerthalle in Dublin wollte am 22. und 23. November 2003 schließlich eine lebende Rock-Legende feiern.
Da ist "Rebel Rebel" natürlich ein idealer Party-Opener. Nur wieselt der Vittel-Werbeträger eben nicht jaggergleich umher, sondern hängt die meiste Zeit eher rum wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Heißt: Bowie grinst beseelt ins Publikum oder streicht seine Haare aus dem Gesicht, was in einer 15.000er Halle auf Dauer nicht ganz ausreicht. Die riesigen Screens hinter ihm bringen dafür oft zu viel Action und Getöse ins Konzept. Ähnlich wie damals in München bleiben konzertante Längen nicht verborgen, und das bei einer wahrlich effektgeilen Kameraführung, die zusammen mit einem opulent eingesetzten Farbspektrum streckenweise ein Endzeit-Szenario visualisiert, das dem cineastischen Bildschnitt-Overkill "Strange Days" nicht unähnlich ist.
Selbst wenn ich Bowie auf der "Reality"-Tour zum ersten Mal gesehen hätte: Das seltsam kompilierte Set, bei dem nur schubweise Atmosphäre aufkam, trübte die Freude über den Bowie-Besuch letztlich doch. Mal davon abgesehen, dass "Under Pressure" (im Duett mit Bassistin Gail Ann Dorsey) eine für Bowie-Verhältnisse zu offensichtliche Fan-Anbiederung darstellt, sind "Sister Midnight", "Fantastic Voyage", "Loving The Alien" oder "The Motel" eindeutig zu viele (oder zumindest die falschen) Überraschungen aus seinem Kuriositätenkabinett. Natürlich grölt halb Irland selig den Refrain zu "All The Young Dudes" mit, doch da sind wir auch bereits beim achten Song der Show. Zuvor kredenzte Bowie neben dem überschätzten "Fame" mit "Reality" sogar den schlechtesten Song seines aktuellen Albums.
Dafür fehlt seltsamerweise "Suffragette City", was nur die Hinzunahme von "The Man Who Sold The World" ausgleicht. "I'm Afraid Of Americans" ist live eine deftige Rock-Walze, ebenso stürmisch gerät der Oldie-Feger "Hang On To Yourself" und auch "Life On Mars" wird natürlich an jeder Stelle eines Bowie-Konzerts stürmisch beklatscht. Dass der fortschritt- und technikbegeisterte Bowie aber außer einer überflüssigen Jukebox keinerlei Bonus Features auffährt und einzig eine Verfolger-Kamera für rund zwei Minuten hinter die Bühne lässt, ist ein wenig dürftig. Fazit: Der Bowie, den man liebt, ist irgendwie eher der, der einst mit der akustischen Gitarre betörende Lieder wie "Five Years" vortrug. Vielleicht auch, weil jener Bowie sich garantiert nie getraut hätte, den Schwerpunkt seiner Konzerte auf eine in MTV-Ästhetik dauerzuckende Bühnenshow zu legen. Dann doch lieber seinen alten Konzertfilm "Ziggy Stardust And The Spiders From Mars", mittlerweile auch auf DVD erhältlich.
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