laut.de-Kritik
Das Ende einer Ära.
Review von Giuliano BenassiNachdem Sänger Ian Gillan und Bassist Roger Glover 1973 vorübergehend ausgestiegen waren und Deep Purples erfolgreichste Phase beendet hatten, formierte sich die Band neu. Statt einer Primadonna holte sie sich den noch unbekannten David Coverdale ins Boot. Für Glover, der stumm seinen Job verrichtet hatte, kam der singende (oder eher kreischende) Bassist Glenn Hughes.
1974 spielte die sogenannte Mark III-Besetzung eines ihrer ersten Konzerte vor 250.000 Zuschauern beim berühmt-berüchtigten California Jam. Berüchtigt, weil Gitarrist Ritchie Blackmore am Ende seines Sets das halbe Equipment zerdepperte und die Band eilig mit dem Hubschrauber von Dannen ziehen musste, um den wutentbrannten Organisatoren zu entkommen.
Super Promotion für das Album "Burn" natürlich, das die Top Ten der US-Charts erreichte. Auch dank zweier starker Stücke wie dem Titeltrack und "Mistreated", die nach wie vor zu den besten der Band gehören. Coverdale und Hughes ergänzten sich am Mikrophon gut, Blackmore entfaltete sich an der Gitarre mehr denn je.
Die Harmonie währte nur kurz, denn auf "Stormbringer", ebenfalls 1974, setzte sich das Gesangsduo mit deutlich mehr Funk- und Soul-Elementen durch. Blackmore war mit dem Ergebnis so unzufrieden, dass er es erst als "Musik zum Schuhe putzen" abtat und schließlich die Band verließ, um mit Ronnie James Dio Rainbow zu gründen.
Die letzten drei Auftritte von Mark III fanden im April 1975 in Graz, Saarbrücken und Paris statt. Da der Abgang Blackmores schon fest stand, hatte die Plattenfirma beschlossen, die Auftritte mitzuschneiden. Verantwortlich für Technik und Produktion zeichnete Martin Birch, der bis zu seinem Eintritt in die Rente 1992 unter anderem auch alle Alben von Iron Maiden produzierte. Die Aufnahmen landeten, stark nachbearbeitet, auf dem Album "Made In Europe" (1976).
Nun liegt zum ersten Mal die Aufzeichnung des Auftritts am 3. April 1975 in Graz in der Liebenauer Eishalle vor. Leider nicht komplett, denn die Zugaben fehlen. Bemerkenswert, nicht wirklich in einem positiven Sinne, ist auch der Umstand, dass manche Stellen, die auf "Live In Europe" zu hören sind, hier fehlen. Dafür gerät der Sound um so besser, was angesichts des Produzenten nicht weiter verwundert.
Von den acht Stücken stammen sechs von den Mark III-Alben, die allesamt als gelungen durchgehen. Mit fünf bis acht Minuten fallen die meisten von ihnen für DP-Verhältnisse kurz aus.
Los geht es mit einer guten Version von "Burn", auf der sich sowohl Blackmore als auch das Duo Coverdale/Hughes als gut eingespielt zeigen. Grandios gelingt das knapp 15-minütige "Mistreated" mit Blackmore, der zu Beginn die deutsche Nationalhymne spielt. Was in Österreich erwartungsgemäß nicht für Begeisterungsstürme sorgt, doch das dürfte der Gitarrist gewusst haben, nachdem er zu diesem Zeitpunkt bereits zweimal mit deutschen Frauen verheiratet gewesen war.
Überflüssig, wie so oft, erscheint "Smoke On The Water". Einerseits, weil Hughes und Coverdale nicht wirklich den Ton treffen, andererseits weil sie zwischendrin, warum auch immer, "Georgia On My Mind" und "With A Little Help From My Friends" anschneiden. Blackmore dürfte sich gefreut haben, zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Band abgeschlossen zu haben.
"Space Truckin'" zieht sich auch hier mit 20 Minuten sehr in die Länge, doch wirkt es lange nicht so inspiriert wie etwa auf "Made In Japan" (1971). Wie "Smoke On The Water" ist es halt einer jener Songs, die ohne Ian Gillan nicht wirklich Sinn ergeben.
Trotz der fragwürdigen Lücken bleibt "Graz" ein erwerbenswertes Album. Der Sound ist exzellent, "Mistreated" kaum besser vorstellbar, auch beim Artwork haben sich die Verantwortlichen Mühe gegeben. Letztlich handelt es sich um ein historisches Dokument, denn nach dem Ausstieg Blackmores waren Deep Purple, wie man sie kannte, Geschichte. Auch wenn sie heute noch, viele Besetzungen später, aktiv sind: So gut wie in den ersten Jahren ihrer Karriere waren sie nie mehr.
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