laut.de-Kritik
Bonjour Tristesse!
Review von Michael SchuhDie Zeit ihres Teenagerdaseins überlebt zu haben, sei eine ihrer größten Errungenschaften, scherzte Sängerin Jo Bevan kürzlich. Über die verschiedenen Auswüchse der Pubertät, so wichtig sie für die eigene Selbstentdeckung auch ist, spricht man später ja in etwa so gern wie über eine Midlife-Crisis. Dennoch entspringen dieser Phase wichtige Impulse, die einen noch Jahre später beschäftigen: Adrenalin, Testosterone, Östrogene, alles im Fluss. Experimentieren, Stimmungen entwickeln, Extreme ausloten. Jo Bevan erinnert sich genau.
Auch drei Jahre nach dem selbstbetitelten Desperate Journalist-Debüt bleibt das Thema Aufwachsen bei der Londoner Postpunk-Band präsent, was neben dem Albumtitel auch das Cover verdeutlicht: Man sieht die Sängerin als Jugendliche missmutig-gelangweilt in einer verlassenen Gartensiedlung stehen. Bonjour Tristesse!
Schwarzweiß und düster klingen denn auch die neuen Songs, eben so, wie es sein muss bei einer Band, deren Namen auf eine Nerd-Story um einen nicht existierenden The Cure-Song rekurriert. Man findet diese Liebe des 2 Boys/2 Girls-Quartetts zur zweifelnden Weltsicht der Goth-Pop-Überväter auch in den Lyrics mit Keywords aus dem Robert Smith-Lexikon: "heaven", "drowning", "flowers", "tragic". Liebe, Wut, Zweifel, Schuld und Verlangen; Triebfedern für die künstlerische Identitätsfindung, die mit Mitte 20 eben ausgeprägter sind als mit Mitte 40.
Die lange Wartezeit auf den Nachfolger hat sich gelohnt: Desperate Journalist tüftelten ausgiebig an Songs und Strukturen, um einen Schritt weiter zu gehen. So umschiffen sie nicht nur das Schicksal des traurigen Postpunk-One-Hit-Wonders (wir erinnern uns an die großartigen The Organ aus Kanada), sondern dehnen auch ihren Sound in neue Bereiche aus. Die Gitarren klingen härter und rücken die offensichtlichen Smiths-Huldigungen in den Hintergrund.
Der alte Hit "Control" heißt nun "Hollow", ein Opener wie ein Gewitter, in dem Bevan auch ihr bekanntes Morrissey-Jaulen zugunsten einer wütenden Patti Smith tauscht (Smiths-Fans halten sich an die federnden Popjuwelen "Be Kind" und "Your Genius").
In "Lacking In Your Love" gerät die Stimmung sogar mal ausnehmend finster und Bevan lässt ihre Stimme kunstfertig überschlagen wie eine Dolores O'Riordan of Doom. Bringt sie gut rüber. "Grow Up" ist eine Platte ohne Ausfälle geworden, die die Aufbruchsphase des Punk'n'New Wave so lässig reanimiert wie zuletzt die ebenfalls (noch) im Underground agierenden Eagulls aus Leeds.
2 Kommentare mit 9 Antworten
tolles ding, don z! neben den "dystopian hellhole" der underground youth die beste klassische postpunk/goth-platte des laufenden jahres, finde ich.
Ja du hast mich mit deinen vorabprobs schon angefixt wird auf jeden Fall gecheckt
ah, du hast den nightsong vor ein paar wochen gecheckt? freut mich, dass die band dir auch gefällt
War dein Link zu Hollow der mich aufhorchen ließ. Spannender Mix aus The Cure und Cranberries. Vinyl ab dem 12.mai lieferbar
"hollow" ist immer noch mein liebling von der platte.
was aderes: ich komme bei eurem avatarwechsel nicht mehr hinterher. keine ahnung, wer von den alten lautbar-helden du bist, niko. und noch mehr würde mich ja interessieren, ob wir uns drüben bei fb unter klarnamen kennen.
Nach einem Jahr kann man glaub ich nicht von "alten lautbar Held" sprechen und Facebook lehne ich ab soisseshalt
ah, verstehe. ...ich dachte ja immer, soisseshalt wäre ne inkarnation von molti....
Hmmmm.. das ist neu, meistens werde ich für den (legendären?) Sancho gehalten
ach nein, das merkt man doch.
Danke... Muss einräumen das ich manchmal meine Tourette-Schizophrenie nicht unterdrücken kann, der ein oder andere User hier forciert das ganz geschickt, ist aber schon besser geworden
Super ergreifender Gesang, Platte wird demnaechst gekauft. Kommen hoffentlich nach Berlin.