laut.de-Kritik

Minimalistischer und arschtrocken groovender Sound.

Review von

Nur noch Selfies, und immer schön die Story befüllen, zwischendurch ein paar essenzielle Pieces Sportbekleidung für den Casual-Alltagslook shoppen: Meine Generation der Mittzwanziger, durch die Bank Social-Media-Addicts, genießt einen Ruf der Oberflächlichkeit und des Blendertums. Und dann entwächst diesem Schlag noch eine Band wie Die Kerzen.

Gleich der erste Song auf deren Debüt-Album "Blue Jeans" schlägt in diese Kerbe: Gut gekleidet in den Tag starten, Duft aus Paris, oh ja. Und ja, ausufernde Erzählungen, bekanntlich ultimative Garanten für Tiefe im Pop-Song, sucht man auf "True Love" vergeblich. Doch: Wer braucht sie denn noch, diese Lüge vom intellektuellen Storytelling auf Indie-Platten, wenn schmackige Songs im ballernden Rhythmus einer Insta-Story viel zugänglicher und auch irgendwie ehrlicher sind?

Genau hier kommen Die Kerzen ins Spiel, diese unfassbare Band, born Ludwigslust. Sänger Die Katze, Bassist Fizzy Blizz und Schlagzeuger Super Luci verbringen große Teile ihres Lebens im Mecklenburgischen. Jelly Del Monaco, für Querflöten-Soli und Synthie-Teppiche verantwortlich, kommt schließlich dazu. Ein paar sehr gut produzierte Videos später landet die Band bei Staatsakt, wo im Herbst 2018 ihre erste EP erscheint.

Es ist dieser gänzlich liebevolle, etwas naive und gleichzeitig unerhört ungehobelte Ton, der sich nun auch durch das Album zieht. "Saigon" beschreibt innig eine Szene des Blickkontakts auf der Berghain-Tanzfläche, der Mut, sich anzusprechen fehlt, bis zu dem Moment, "als der DJ zum Tanz aufrief". Dieser Club hat wohl noch nie eine so romantische Zerstörung in einem einzigen Satz erfahren.

Es sind kleine, ausdrucksstarke Bilder wie diese, mit denen uns die Band im Midtempo durch die Welt der kurzen Aufmerksamkeitsspannen gleiten lässt. Jede Zeile dieses Albums schwebt lose und assoziativ neben der nächsten – aber man kann sich selbst immer damit in Beziehung setzen. Ist das hier also die Pop-Adaption des Rezepts Cloud Rap?

Auf "True Love" (und am besten im gleichnamigen Titel-Track!) trifft die Band doch genau dieses Gefühl, diese neblige Unbestimmtheit, diese hedonistische Melancholie, die man auch im deutschsprachigen Cloud Rap wiederfinden kann. Im Zusammenspiel mit diesem eher minimalistisch und arschtrocken vor sich hin groovenden Sound sorgt das für ein irres Spannungsverhältnis.

Denn das Achtziger-Faible der Band ist so offensichtlich, dass man es eigentlich nicht explizit erwähnen müsste: Wer will, hört ABC, Tears For Fears, Prefab Sprout. Nur dekonstruieren sie beispielsweise in "Mit Seide" den wohlerzogenen Pop der Letzteren auf schamlose Weise, aber ohne dass es unangenehm wird: "Schwarze Jeans um deine Lenden / mein Herz in deinen Händen."

Es ist diese Art von Humor, des Sich-nicht-zu-Ernst-Nehmens, die jeder Chorus-Gitarre, jeder glitschigen Synthie-Fläche, jedem Querflöten-Solo einen höheren Sinn zugesteht. Die so stellenweise ein selbstbewusstes Pathos installiert, um diesem im nächsten Moment sogleich wieder den Nährboden zu entziehen. Das wiederum hat dann überhaupt nichts Oberflächliches, sondern ist schlicht und ergreifend einfach true.

Trackliste

  1. 1. Blue Jeans
  2. 2. Saigon
  3. 3. True Love
  4. 4. Désolé
  5. 5. Karamba
  6. 6. Al Pacino
  7. 7. Mit Seide
  8. 8. Zu Spät
  9. 9. In Der Nacht Hast Du Geweint
  10. 10. Solarium

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