laut.de-Kritik

Trojanisches Pferd mit zu viel Konzept.

Review von

Mit trojanischen Pferden ist das so eine Sache. Zunächst einmal müssen sie blickdicht sein, denn offenbart sich ihr Inhalt schon vorab, ist einem die Ablehnung gewiss. Doch auch eine blickdichte Hülle bringt nichts, wenn sie nicht dazu einlädt, das Geschenk zu begehren und mit ins eigene Reich nehmen zu wollen. Damit herzlich willkommen im musikalischen Dilemma von Disarstar.

Was hat der Hamburger nicht alles schon versucht, um ein langatmiges Blockseminar über Marx' "Kapital" zu etwas unzumodeln, das - nun, ja - irgendwie Spaß macht? In jungen Jahren natürlich noch mit der Brechstange bewaffnet, kleisterte er danach alles mit rosarotem Kitsch zu, um dann jüngst die Großraumdisco mit Retrovibes erobern zu wollen. Aufgegangen ist keiner dieser Pläne so richtig, und der Klassenkampf ist auch immer noch nicht gewonnen. Welchen Ansatz verfolgt der Hamburger also dieses Mal?

Um es kurz zu machen: alle bisherigen und noch mehr. Das Intro "Saint Tropez" versucht sich zunächst noch zurückhaltend an einer Neuauflage von "Australien", bevor es dann mit "Großraumbüro" und "Weiße Mit Dreads" direkt in die Offensive geht. Auch "Tekken 6" bringt dieselbe Energie mit, schielt gleichzeitig aber zumindest schon mit einem Auge in Richtung Tanzfläche.

Für "Tochter" (feat. Jassin) und "Meine Söhne Geb' Ich Nicht" driftet Disarstar jedoch - man hatte es schon befürchtet - erst ins Kitschige, dann ins Pathetische ab. Zwar stellt sich anschließend Erleichterung ein, weil er in der zweiten Album-Hälfte dem Kitsch weitestgehend fernbleibt, doch erreichen die Songs mit Ausnahme der Feature-Songs "Wie Viel" (mit Pöbel MC) und "Ambilight" (mit Tom Hengst) energietechnisch leider nicht mehr das Einstiegslevel, zumal vor allem "Panzer Unterm Cape" sich noch einmal in Pop-Gefilde verirrt, in denen Disarstar hörbar nicht zu Hause ist.

Inhaltlich spiegelt sich dabei das, was schon musikalisch feststellbar war: Die hörbareren Tracks sind auch lyrisch die stärkeren. Das mag auch daran liegen, dass sich Disarstar dem Hörer persönlich so sehr wie noch nie öffnet. Leider wirken die Songs dabei nicht stringent genug. Wenn er beispielsweise gleich mehrfach sowohl seinen Sohn als auch seinen Vater erwähnt, man aber bei der zweiten oder dritten Erwähnung dasselbe erzählt bekommt wie bei der ersten, dann ist das vor allem eines: redundant.

Das ist schade, verschenkt Disarstars so doch einen Großteil des Potenzials seiner persönlichen Offenheit. Am deutlichsten zeigt sich das in "Meine Söhne Geb' Ich Nicht": Eigentlich als großes Pathosstück angelegt, verpufft die Wirkung gegenüber einer einzelnen Line auf "Monumente", das zwei Anspielstationen weiter vorne liegt. Wenn die darauf zu hörende Zeile "Ich hab' Liebe für Familien, nicht für'n Land" mehr puncht als ein ganzer Song, hilft auch die nostalgische Reinhard-Mey-Referenz nicht mehr.

Auch der Storyteller "Alles Gute Kommt Von Unten", auf dem Disarstar die Geschichte eines wohl guten Freundes erzählt, mag seine Wirkung nicht so recht entfalten, zu unpersönlich in der dritten Person, zu unspektakulär für Außenstehende. Wie es besser geht, zeigt der Hamburger auf "Gemacht Dafür", auf dem er seine eigenen Schicksalsschläge lose mit denen seiner Weggefährten verflechtet: weniger Konzept, dafür deutlich mehr Gänsehaut.

Am Ende bleibt vom Trojanischen Pferd ein halbfertiger Bausatz: außen ein Flickwerk aus bunt lackierter Zierde und rohem Holz, innen eine Crew, die nicht weiß, ob sie marschieren, tanzen oder weinen soll. Es mag die berühmte Ironie des Schicksals sein, doch mit jedem neuen Album kristallisiert es sich mehr und mehr heraus: Disarstar ist immer genau dann am besten, wenn er sich nicht so viele Gedanken darüber macht, wie seine Musik am Ende wirken soll. Leider scheint er diesbezüglich eher ein Kopfmensch zu sein.

Trackliste

  1. 1. Saint Tropez
  2. 2. Großraumbüro
  3. 3. Tekken 6
  4. 4. Weiße Mit Dreads
  5. 5. Monumente
  6. 6. Tochter
  7. 7. Meine Söhne Geb' Ich Nicht
  8. 8. Familienchronik
  9. 9. Wie Viel
  10. 10. Ambilight
  11. 11. Alles Gute Kommt Von Unten
  12. 12. Gemacht Dafür
  13. 13. Knife
  14. 14. Panzer Unterm Cape

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