laut.de-Kritik
Wichtig, durchdacht, künstlerisch außerhalb des Erwartbaren.
Review von Philipp KauseMit "Constellations For The Lonely" wenden sich die Doves an die Einsamen, fast ein Synonym für verlorene Seelen. "Lost Souls" lautete der Slogan für den Startschuss des Trios mit einem wahrlich zeitlosen Werk vor 25 Jahren. Dem starken Einstand der Tauben folgte quantitativ wenig, qualitativ selten Überzeugendes nach. Zwanzig Jahre später koppeln sie auf "The Universal Want" wieder Impressionismus mit Schwermut. Abgekoppelt vom Zeitgeist brachte es der Band zwar einhelliges Lob der britischen Fachpresse ein sowie den Spitzenplatz der UK-Charts, aber keinen nachhaltigen Effekt über Großbritannien hinaus - ungeschicktes Timing, damals zwischen zwei harten Lockdowns.
Hört man auf das, was die Band zu sagen hat, war ihr melancholisches und desillusioniertes Stimmungsbild kurz nach dem Brexit so passgenau, dass ihr Timing höchst sinnfällig wirkt. Aussichtslos fanden die drei aus Manchester schon damals unsere Zeiten und die erwartbare Zukunft. In der Musik des Albums spiegelt sich das auch jetzt wieder, fast fünf Jahre später.
Trotz aller Dystopie leben die Doves ihre Fähigkeit aus, den Puls pushend das Herz, mit vertrackten Produktionen das Hirn, mit emotionaler Expression die Seele und mit entspannten Dreampop-Sequenzen den Bauch anzusprechen. Über Indie-Rock-Purismus reicht das sehr weit hinaus. Loop-Technik und mehrere britische Elektronik-Spielarten verpacken die Mancunians kongenial, werten ihre Gitarren-Riffs auf.
'Lasst uns vor einer grauen Kulisse zusammen halten', scheint als Motto über der verspielten, manchmal electro-verspulten Platte zu schweben. Allerdings, bei aller Stringenz und Konzepthaftigkeit hat das Album seine Schwächen, die sich ganz schwer ignorieren lassen und Toleranz einfordern: Momente, Minuten und ganze Tracks, die verquast, unübersichtlich geraten, im schwächsten Beitrag sogar unangenehm überfrachtet.
"Last Year's Man" hört sich zäh, kriechend, stockend an, repetitives Gesülze, seltsam gemastert und knochentrocken gesungen. "Saint Teresa" bremst, präsentiert die Crew von ihrer lahmsten Seite. Womöglich liegt das Problem bei mir. Weil ich mich mit solchem Störfeuer inmitten der sonst ausgebreiteten Harmonie nicht wirklich abgeben will und es eher eine Geschmacksfrage ist? Logisch erscheint es zwar nicht, weshalb man erst fünf Tracks lang ein Masterpiece ans andere setzt und dann für seltsame Experimente den guten Lauf opfert. Doch angesichts der übermächtigen Perfektion, die insgesamt in "Constellations For The Lonely" steckt, scheint dieser Bruch bewusst eingefügt zu sein, als programmatischer Trash.
Den überwiegend großartigen Nummern tut dies keinen Abbruch. So wäre selbst ein Punktabzug bezüglich Konsistenz und Dramaturgie übertrieben kritisch. Diese Platte hat einen unbedingten Erzähldrang. Sie ist wichtig, durchdacht, künstlerisch außerhalb des Erwartbaren. Dabei lautet das erklärte Ziel von Jimi Goodwin und den Gebrüdern Williams an seiner Seite, eine visuelle Wirkung mit ihren Songs zu erzielen. Mit teils unorthodoxen Sound-Kombinationen. Höchst atmosphärisch zeigt sich die harte Lo-Fi-Klavier- und Elektro-Staub-Studie "Orlando", teils ein Kontinuum ohne Strophen, teils Gefrickel mit abrupten Kunst-Pausen.
Das romantisch-melancholische und Ton-Schichten verquirlende "Cold Dreaming" berührt auf vielen Ebenen. Weil es so traurig und doch leichtfüßig ist. Weil die Melodie so verführerisch klingt. Mit laid-back Offbeat, aber treibend ist es rhythmisch ansprechend. Und dann singt hier plötzlich nicht der Frontmann, sondern die anderen beiden übernehmen. Trip Hop streuselt einen völlig anderen Vibe über den Song als den des Rock- oder Britpop-Koordinatensystems. Kalt-Träumen ist übrigens ein in Schlaflaboren bis dato genauso wenig nachgewiesenes Phänomen wie das unbemerkte Verschlucken von Spinnen im Schlaf.
Das Klassik-Pop-Shoegaze-Drum'n'Bass-Konglomerat "Renegade" lädt durch seinen Text ein, künftig im Englischunterricht als Beispiel für knackige Lyrik mit ästhetischer Laut-Abfolge und plakativen Bildern herzuhalten. "Down below the searing heat is cracking paving stones. / The city's close to boiling point, you watch the scene unfold / and you walk out the door and your walking out forever. / And you ask yourself - are you living in a dream? / Piccadilly gardens selling dreams on giant screens."
Unterm Strich bleibt ein mitunter versponnenes Album haften, dessen Track-Titel "Strange Weather", "Stupid Schemes", und "In The Butterfly House" bereits die Gefälligkeit unterlaufen und metaphysische Psychedelik andeuten. Heraus kommt eine Platte, wie man sie nicht alle Tage hört, weil sie auf Stimmungen und wagemutige Lied-Architekturen setzt, ohne aber Eingängigkeit außer Acht zu lassen. Referenzen an andere Interpreten und Parallelen mit vielen Gruppen lassen sich trackweise heraus hören, alphabetisch geordnet: Avalanches, Broadcast, Coldplay, Cornershop, Manic Street Preachers, Mansun, Mercury Rev, Morcheeba, Polyphonic Spree, Radiohead, The The, Turin Brakes und so viele weitere. Eine Verwechslung ist jedoch nicht möglich: Die Doves-Stimmen sind prägnant, die Rezeptur bleibt einmalig.
2 Kommentare
klingt interessant. ist musik mit der ich sonst nicht in kontakt kommen würde. danke laut.de
♥
Ein wirklichlich gutes Album, auch etwas interssanter als der Vorgänger. Der Gesang der Brüder ... mäh, nicht so mein Ding. Verstehe jetzt auch nicht ganz, wie die Laut Redaktion in der Vergangenheit zu den Bewertungen der aus heutiger Sicht großen Klassiker der Band kam.