laut.de-Kritik
Wir winken der vorbeifließenden Zeit zum Abschied.
Review von Mathias DeneckeVerhalten verzerrtes Gemurmel im Hintergrund und tief wabernde Elektroklänge stimmen den ersten Titel an. Der Gitarrist schlägt beidseitig die Gitarre an und unterstützt den traurig-einnehmenden Gesang. Ein einsilbiger Backgroundchor haucht dem Refrain magische Fülle ein. In der Strophe nimmt er seine Position als widerhallendes Echo ein.
"Where'd All The Time Go" fühlt sich dagegen nach Folk an, penibel verrührt mit einer Prise Independent und einem guten Schuss Flair der 60er Jahre. Dr. Dog nehmen sich darin dem kaputt gesungensten Thema überhaupt an - der Zeit: "It's starting to fly, see how the hands go, waving goodbye."
Nicht nur textlich ist der fünfte Langspieler von Dr. Dog ausreichend mit dem Dauerthema bestäubt, auch die Musik widmet sich dem Verinnen der Zeit. Sie bedient sich großzügig an Elementen des Psych-Pop, den Beatles und melodiösem 60er-Rock. Sie verweist auf weit entfernt liegende Stunden und Minuten.
Die Herren aus Philadelphia scheinen in ihrer eigenen, unantastbaren Parallelwelt zu wohnen. Dem Quintett gelingt es glanzvoll, aneinander gereihte Bilder zu einem Vorstellungsstrom zu verbinden und Geschichten zu erzählen, die sich unter der Haut einbrennen ("Shadow People", "I Only Wear Blue"). Die Gruppe besticht mit Seelenschwärze, gibt sich authentisch und verweist häufig auf das eigene Schaffen ("Station", "Someday").
Der Langspieler hört sich im Gegensatz zu den Vorgängern nach ausgefeilter Produktion an. Bandkopf Scott McMicken sagte, er fühlte sich nach dem vierten Album "wie ein geschlossenes Buch". Es musste jemand hinzutreten, der auf einer professionellen Studioproduktion den Live-Charakter und –Enthusiasmus der Band festhält. Mit Rob Schnarpf (Beck, Elliott Smith) fand die Band schließlich den gewünschten Partner.
Weitere Prominenz findet sich mit My Morning Jacket-Sänger Jim James ein. Das von ihm eingesungene "Shame, Shame" markiert den Schmelzpunkt der Selbstkritik, die sich wie ein Schleier über die knapp 40 Minuten legt.
Dr. Dog versprechen mit "Shame, Shame" weniger animalische Heilung als Selbsterlösung. Noch lange nach dem auditiven Genuss hallt das Gemurmel des Backgroundchors im Kopf nach. Man bekommt einen schönen Ansatz serviert, um über verrinnende Minuten und Stunden zu reflektieren. Dabei sehen wir uns selbst zu, wie wir der wegfließenden Zeit freundlich hinterher winken. "Good Bye"!
Noch keine Kommentare