laut.de-Kritik

Der Chirurg operiert maximalinvasiv.

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Der Sommer übernimmt. Freibadwetter lädt zum Grillen ein. Die Fußball-EM verspricht auch nach dem Ausscheiden der Nationalelf unterhaltsame Ablenkung. Und selbst die unselige Pandemie gönnt zumindest den Deutschen eine Verschnaufpause. Folgerichtig wird es für Hirntot Records höchste Zeit, Dr. Faustus aus dem Operationssaal zu holen, um der guten Laune Einhalt zu gebieten. Mehr als ein Jahrzehnt nach seinem letzten Soloalbum tauscht der mysteriöse Mediziner für "Psycho Aktiv" erneut Messer gegen Mikrofon.

Dr. Faustus orientiert sich am Motiv des Mad Scientists, wie er vor allem aus Romanen wie "Frankenstein" oder "Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde" bekannt ist. Mit kindlicher Neugier setzt sich diese Figur über die guten Sitten hinweg, um sich auch mal durch Gedärme zu wühlen. Exemplarisch führt der Rapper seine Leidenschaft für die menschliche Anatomie zum Synthie-Gewitter "Doktor, Doktor" vor: "Bauch auf und rein in den Blinddarm. Rein zu den Innereien, hole sie raus. Mit dem V-Schnitt öffne ich den Körperbau."

Ganze Tanks voll Blut ergießen sich über die Songs von "Psycho Aktiv". Die musikalische Gestaltung fällt dagegen bekömmlich aus. Ebenso wie sich Dr. Faustus' Vortrag von den mitunter strapaziösen Stimmen von Schwartz oder Blokkmonsta abhebt, vermeiden es auch die synthetischen Sounds, in die tiefsten Abgründe hinabzusteigen. "Psycho Aktiv (Intro)" legt zu Beginn eine Hochspannung an, die sich in "Brennender Hass" bis zu rammsteinschen Chören steigert. "Tunnelblick" fällt dagegen arg billig aus, und in jeder Hinsicht enervierend klingt es, wenn er in "Guinea Pig" die Knochensäge anlegt.

Bei seinen maximalinvasiven Eingriffen gehen Dr. Faustus eine Reihe kompetenter Assistenten zur Hand. Mit Uzi schlitzt er sich durch die schmissigen Songs "Seelenfresser" und "Untote Nutten". Aus dem Fachgebiet der Gynäkologie beteiligt sich Frauenarzt auf einem basslastigen Brett in "Porno-Mafia"-Tradition. Während Perverz in ein "Versifftes Badezimmer" entführt, wo die Drogenleichen warten, lässt Blokkmonsta sie anschließend in "Die Grube" verschwinden. Feingeist Schwartz wiederum lustwandelt auf einem "Trip Des Grauens": "Dein Körper ist ein Spielplatz der Qual."

Die totgeglaubten 4.9.0 Friedhof Chiller entsteigen für "Engel Des Todes" noch einmal ihren Gräbern, um die Schlacht der Selbstgerechten zu führen: "In mir brennt Verlangen, explosive Energie. Ich will den totalen Krieg, den Holocaust für Pädophilie." Die Scheinheiligkeit ist augenfällig, wenn sich das Trio inmitten all der Tabubrüche auf ein moralisches Podest begibt und Ankläger, Richter und Henker in einem spielt: "Vernichten, richten, bis der letzte Sünder tot ist." Dass sie ihren Kampf für die vermeintlich gerechte Sache mit der Judenvernichtung verknüpfen, setzt dem Ganzen die Krone auf.

Auf den vier Bonus-Songs vermeidet Dr. Faustus zwar den tugendhaften Anstrich, überhöht sich dafür aber selbst mit dem alten Argument der Authentizität. Nuri beklagt sich in "Film Aus!" über "Fake-Fotzen": "Mach doch nicht auf hart, wenn du ein Lauch bist." "Laufen & Rennen" und "Ohh Ohh Gee" erscheinen mit ihrem Gangsterrap-Einschlag ebenso völlig Out of Character wie die abschließende mythologische Reise "durch das All und die Zeit" in "Anunnaki (Star Child)". Abzüglich dieser Experimente gibt die Figur des verrückten Wissenschaftlers jedoch viel brauchbaren Stoff her.

Trackliste

  1. 1. Psycho Aktiv (Intro)
  2. 2. Brennender Hass
  3. 3. Engel Des Todes (mit 4.9.0. Friedhof Chiller)
  4. 4. Ballistik
  5. 5. Seelenfresser (mit Uzi)
  6. 6. Tunnelblick
  7. 7. Trip Des Grauens (mit Schwartz)
  8. 8. Doktor, Doktor
  9. 9. Rest In Pieces
  10. 10. Untote Nutten (mit Uzi)
  11. 11. Dangerzone (mit Frauenarzt)
  12. 12. Guinea Pig
  13. 13. Versifftes Badezimmer (mit Perverz)
  14. 14. Die Grube (mit Blokkmonsta)
  15. 15. Auf Ewig Verbunden
  16. 16. Film Aus! (mit Nuri)
  17. 17. Laufen & Rennen
  18. 18. Ohh Ohh Gee (mit Serok47)
  19. 19. Anunnaki (Star Child)

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