laut.de-Kritik
Boston against billionaires.
Review von Emil DröllDie Dropkick Murphys waren nie leise – aber so laut, klar und politisch kompromisslos wie auf "For The People" hat man sie seit Jahren nicht mehr gehört.
Die Bostoner Punk-Rock-Veteranen stellen sich frontal gegen die Ungerechtigkeiten in ihrem Land – mit offenen Texten, flammender Energie und dem Soundtrack für eine Bewegung, nicht bloß ein weiteres Album. Nach zwei akustischen Ausflügen kehrt das Gespann auf ihrem 13. Studioalbum kraftvoll zu seinen Wurzeln zurück.
Schon der Opener "Who'll Stand With Us?" lässt keine Fragen offen: Wer steht heute noch auf Seiten derer, die den Laden am Laufen halten? Während "Milliardäre und Broligarchen" die Gesellschaft zerlegen, kämpft die Arbeiterklasse ums Überleben. Der Song ist kein moralischer Zeigefinger, sondern ein klar formulierter Aufruf zur Solidarität – und zur Gegenwehr. Und ganz nebenbei ein musikalisches Punk-Rock-Statement: Die ersten Akkorde könnten genauso gut von der nächsten Green Day-Platte stammen – Distortion trifft auf Dudelsack und Mitgröhl-Zeilen, ohne zu sehr in Schunkelstimmung zu kippen.
"Fiending For The Lies" und "Bury The Bones" führen den Ton konsequent fort: Es geht um soziale Kälte, gezielte Desinformation und eine Demokratie, die für viele längst zur Fassade verkommen ist. Wer genug vom Folk'n'Roll hat, wird mit "Fiending For The Lies", "Kids Games" und "The Big Man" bestens bedient – kein Schifferklavier, kein Dudelsack, kein Akkordeon. Nur Gitarre, Punk, Wahrheit. Die Dropkick Murphys klagen nicht nur an – sie klären auf, schimpfen, singen, kämpfen. Und fordern: "Protestiert und organisiert euch / Die Macht muss beim Volk liegen / Wenn die Welt überleben soll".
Trotz aller Schärfe vergessen sie nie, dass Punk auch Herz bedeutet. In "Chesterfields And Aftershave" erinnert sich Sänger und Bassist Ken Casey an seinen Großvater – leise, warm, ehrlich: "Aber du würdest sehen / Dass ich okay geworden bin / Und ich hoffe / Ich würde dich stolz machen".
Nahe geht auch "Streetlights", ein Song über den Tod von Caseys Vater, als er acht Jahre alt war. "Doch kein Gotteshaus, keine Bar / Kein Museum kann das wiedergutmachen", heißt es da – ein stiller, trauriger Moment inmitten des Aufruhrs.
Natürlich bleibt auch Raum für Lautstärke, Humor und Rotzigkeit – etwa in "The Big Man", einer Hommage an Pennywise-Gitarrist Fletcher Dragge: rotzig, rumpelig, voller Whiskey und Punk-Freundschaft. Die Gastbeiträge sind klug gewählt: Billy Bragg leiht dem Ewan MacColl-Cover "School Days Over" seine Stimme, The Scratch heulen sich zweimal quer durch keltische Soundlandschaften, und The Mary Wallopers bringen mit irischem Furor zusätzliche Wucht in "Bury The Bones". Besonders schön: Al Barr, langjähriger Frontmann der Band, kehrt für ein paar Zeilen auf "The Vultures Circle High" zurück – familiär, kämpferisch, herzlich.
All das kulminiert in "One Last Goodbye", einer bewegenden Hommage an Shane MacGowan von den Pogues. "In Millionen leerer Flaschen" trauert man um einen Helden, der Folk, Punk und Irland für eine Generation verbunden hat.
Spätestens hier wird klar, was "For The People" ist: ein Album für die, die geblieben sind. Für die, die kämpfen. Für die, die verloren haben. Für alle, die sich irgendwo wiederfinden wollen. Musikalisch bleiben die Dropkick Murphys ihrer explosiven Mischung aus klassischem Punk, irisch-folkiger Hymnenhaftigkeit und stadiontauglicher Energie treu. Wer die Band auf "I'm Shipping Up To Boston" reduziert, verpasst, dass sie längst auf einer ganz anderen Ebene kämpft – nicht nur für sich selbst, sondern für ein Wir, das in Zeiten wie diesen bitter nötig ist.
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