laut.de-Kritik

Die Heavy-Psycher jammen sich in den Krautrock-Himmel.

Review von

Elder verstehen sich selbst als "Definition eines ständig fortschreitenden Prozesses". Diese Beschreibung trifft den Nagel auf den Kopf. Passend zu diesem Credo ist "The Gold & Silver Sessions" kein Album geworden, wie man es von der Band gewohnt ist oder es gar erwartet hat. Das deutet bereits das vom Aschaffenburger Grafikdesigner Max Löffler entworfene enigmatische Cover an, das sowohl das alchemistische Verbinden der Elemente Gold und Silber als auch deren ikonographische Symbole Sonne und Mond zeigt. Diese Symbolik dient hier als Metapher für das Vermengen verschiedener Musikstile zu etwas Neuem.

Die drei instrumentalen Tracks auf der Platte entstanden im Rahmen einer fünftägigen Jamsession, die im Herbst 2018 in Berlin Weißensee während einer kurzen Tourpause im Big Snuff-Tonstudio des ehemaligen Samsara Blues Experiment-Bassers Richard Behrens komplett analog aufgenommen wurde. Jeder der Songs wurzelt tief im experimentellen Ethos der Berliner Schule um Tangerine Dream und Ash Ra Tempel, der deutschen Kosmischen Musik sowie dem Krautrock. Elder würzen die Tracks mit dem für sie archetypischen Heavy Psych-Sound.

Sein Faible für diese urdeutschen Musikstile hat der Wahlberliner und Elder-Mastermind DiSalvo bereits in kleinen Häppchen auf den Vorängeralben "Lore" sowie dem 2017 zuletzt erschienenen Opus Magnum "Reflections Of A Floating World" und dort vor allem in den Track "Sonntag" eingewoben. Der Song nimmt eine herausstechende Sonderrolle zwischen episch-atmosphärischen Gilmourschen Spielwiesen und feinsinnig auskomponierter Progressivität à la Yes oder Gentle Giant ein.

Der zehnminütige Opener von "The Gold & Silver Sessions", "Illusory Motion", besticht mit einer friedfertigen und meditativ-hypnotischen Grundstimmung, die zum in die Ferne Schweifen einlädt. Diese kommt vor allem wegen des an Neu!-Schlagzeuger Klaus Dinger erinnernden Motorik-Beats und der von seinem Kollegen Michael Rother beeinflussten Gitarrenarbeit auf. Gleichzeitig erklärt das Kolorit des Songs auch dessen Titel. Die eingestreuten elektronischen Klangteppiche und ein sanftes Mellotron vermitteln das trügerische Gefühl, als bewege sich der Track bei gleichzeitigem Stillstand in einem Fort hinweg.

Alles erscheint wie von Zauberhand verwandelt und automatisiert, bis zu jenem Moment, in dem der Song in einem fuzzgetränkten, aufsteigenden Gitarrenmotiv kulminiert, dessen wirkungsvolle Sequenzierung die pastorale Szenerie konterkariert. Für die Band selbst steht "Illusory Motion" als Sinnbild für das immer gleiche und doch von strengen Gegensätze geprägte Leben auf Tour, bestehend aus monotonen Autobahnfahrten und energetischen Auftritten.

In den Liner Notes heißt es dazu: "Es fühlt sich an, als seist du permanent in Bewegung, nur um jede Nacht in der gleichen Situation zu enden – einem dunklen Club und einem miesen Hotel. Wenn du das lange genug machst, stellt sich das Gefühl ein, als bewegtest du dich nie wirklich."

Die friedfertige Stimmung hält in "Im Morgengrauen" zunächst an. Nach einem kurzen Mellotron-Vorspiel setzen ätherisch gespielte Trompeten ein, die ein fast schon dunkles und leicht melancholisches Ambient-Jazz-Flair schaffen. Das erklärt auch die Nutzung der deutschen Sprache für den Songtitel, die die nebulöse Grundstimmung der Klänge besser transportiert als das englische Äquivalent "at dawn". "Es fühlte sich einfach wie die richtige Sprache an", erklärt die Band ihre Entscheidung.

Das Finale der EP und ihr absolutes Highlight bildet "Weißensee". Gleichzeitig ist es auch der längste Song, den Elder bis dato veröffentlicht haben. Die echogetränkte, lautmalerische Jam bringt es auf epische achtzehneinhalb Minuten Spieldauer. Der Song enthält mit Abstand die meisten Jam-Elemente. Da diese spezifisch in Berlin im Studio, nicht vorab auf Tour entwickelt wurden, trägt der Song den Namen des zu Pankow gehörenden Ortsteils, in dem die Recording Sessions stattfanden. Die vielen eingebauten kleinen Details lassen den Song trotz seiner Dauer zu keinem Zeitpunkt auch nur im Ansatz langweilig erscheinen.

Das liegt zum einen an der musikalischen Virtuosität des Quartetts, zum anderen an den mit Bedacht gewählten musikalischen Vordenkern, an denen sich Elder orientieren. Die beständigen Beats und die repetitiven Basslinien von "Weißensee", die an "den Rhythmus einer Metropole, rauschende Tram-Räder und die Fußtritte auf den Kopfsteinpflastern" erinnern sollen, stellen eine klare Hommage an Can, Kraftwerk, La Düsseldorf, Neu! und Ash Ra Tempel dar. Well done!

Entstanden ist die aktuelle Scheibe auf Anstoß Jadd Shicklers von Blues Funeral Recordings exklusiv für dessen PostWax-Programm. Damit bietet er ausgewählten Bands aus der Psych-Szene eine Plattform für experimentelle und aus derem herkömmlichen Rahmen fallende Releases, die künstlerisch nicht in deren gewohntes Soundgewand passen.

Dass die "The Gold & Silver Sessions" in ihren 34 Minuten Spielzeit gänzlich ohne Texte auskommen, ist dem experimentellen Rahmen des Werkes geschuldet. Da Elder sehr versiert an die Jams herangehen und den Tracks dadurch den nötigen Raum zur Entfaltung geben, fehlt Gesang auf dieser EP aber nie.

Ohne dabei ausufernd zu wirken, laden die lebendigen Tracks zum sinnlichen Erkunden von Klangwelten ein, in denen man sich mit Leichtigkeit verlieren kann. Die introspektive Reise durch dieses mit außermusikalischen Verweisen gespickte, organisch-pulsierende Soundgebilde macht "The Gold & Silver Sessions" zu einem großartigen Kleinod, das in dieser Intensität auf einem regulären Album so nicht hätte stattfinden können.

Trackliste

  1. 1. Illusory Motion
  2. 2. Im Morgengrauen
  3. 3. Weißensee

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LAUT.DE-PORTRÄT Elder

"Bei dieser Musik erwartete ich einen Fünfer fettärschige Bärte, und was bekomme ich? Einen dürren Jesus und seine beiden Jünger. Trotzdem: geile …

3 Kommentare mit 7 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    hmm
    interessant
    und trotzdem schade das man am schwächsten Song des Vorgängers anknüpft.
    Werds noch 2-3 mal durchhören zur Sicherheit.

    • Vor 5 Jahren

      ein paar geile ecken und sicherlich viel skill nötig.
      Aber das gejamme ist eben nicht so meins. Klingt halt nicht so griffig, es ist "kein Song" wenn man sich hinstellt und einfach mal drauf los spielt bis man keinen Bock mehr hat.
      das mag unfair klingen und ich will ganz sicher nicht behaupten dass hier wär was einfaches aber ... ich mags halt nicht so wenn man 20 minuten vor sich hin jamt. Konnt ich schon bei den 60/70er Bands nich ab.

      btw. was ist für euch eigentlich krautrock? ernstgemeinte frage.

    • Vor 5 Jahren

      Jepp, selbst die geilsten Jamsessions, auf denen 20 saugeile Zufälle hintereinander geschehen und alle Bandmitglieder das absolute Mojo heraufbeschwören, finde ich immer noch langweilig.

      Eine gewisse Absicht und Vision will ich schon hören können. Ich ziehe mir ja auch keinen Film rein, der ohne Schnitte die Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigt. Fast wurscht, wer oder was da vielleicht auftaucht.

    • Vor 5 Jahren

      Was ist unter Krautrock zu verstehen? In erster Linie eine sehr vage definierte Schublade, in der so allerlei verschieden klingende Bands unter dem einen Schlagwort versammelt wurden, die irgendwie progressiv und psychedelisch klangen. Was diese Worte jeweils wieder beinhalten, dazu gibt es genug Literatur - zum Beispiel "Rockin' The Classics. English Progressive Rock And The Birth Of The Counterculture" von Edward Macan oder auch "The Space Between The Notes" von Sheila Whiteley. Was die Bands so angeht, sind Tangerine Dream zum Beispiel an der Grenze zwischen Kraut und Elektronika. Bands wie Guru Guru, die auf den Essener Songtagen 1968 zusammen mit Amon Düül unter dem Motto "Deutschland erwacht - neue Popmusik aus Deutschland!" gespielt haben wollen bis heute nicht in diese Schublade gesteckt werden. Bei Can stellt sich ja keine Frage.

    • Vor 5 Jahren

      was Ragism eben auch sagt.
      @Krautrock
      ich hab halt mal Wikipedia bemüht und da steht "Rock aus Deutschland" ohne das es einheitliche Merkmale gäbe an denen man das Genre festmachen könnte, was für mich so viel heisst wie das es ne ziemliche Bullshitbezeichnung ist da es ja alles und nix sein kann irgendwie xD

    • Vor 5 Jahren

      @ragism:

      Dann empfehle ich dir diesen schönen Filmtrailer hier:
      https://www.youtube.com/watch?v=RLevgVmZ8rE

      ;)

  • Vor 5 Jahren

    Klingt ganz gut soweit, ich werde das auch erst mal ein paar Runden rotieren lassen, damit sich das setzen kann.