laut.de-Kritik
Zwei Stars in ihrem Element.
Review von Philipp KauseNachdem Elton John unlängst im Schlepptau von Dua Lipa und Britney Spears eine überraschende späte Renaissance als Dudelfunk-Star erfuhr, beantwortet er jetzt die seither offene Frage: Wird es noch einmal neue Solo-Songs geben? - Jein! "Who Believes In Angels?" darf nach "Duets", "The Union" (mit Leon Russell), "The Diving Board" (mit T-Bone Burnett) und nach den "Lockdown Sessions", vor allem als sein fünftes Kollabo-Album zählen. Aber er steht im letzten Track "When This Old World Is Done With Me" durchaus allein mit seinem Piano da. Am Ende der A-Seite ist es dagegen seine Kumpanin Brandi Carlile: Solo füllt sie in "You Without Me" ihren Spot aus.
An Eltons Stelle kann man wohl gar nicht anders, als die Chance auf dieses Aufeinandertreffen wahrzunehmen. Erwarten lassen hätten sich musikalisch lauter solche Duette wie "Never Too Late" mit Eltons typisch weich synkopierendem Piano-Sliding und Brandis sirenenhaftem Americana-Gesang. Doch ganz so kommt es auf Albumlänge nicht. Werfen wir erst einen Blick auf die interessanten Voraussetzungen: Da wäre er als großer bekennender Laura Nyro-Fan, im Duett mit Brandi Carlile, die diese Faszination nachvollziehen kann - siehe "The Rose Of Laura Nyro" - und mit stilistischen Parallelen zu Nyro und zu ihm aufwartet. Zudem trifft er als Homosexuellen-Ikone auf Brandi als prominenteste Lesbin des eher nicht so gendersensiblen Country. Das Video zu "Swing For The Fences" zeigt zu den inneren Qualen vorm Coming-out sogar Selbstverletzungs-Szenen.
Er benötigt kein neues Album mit neuem Material, sie nach ihrem letzten wahrlich auch nicht, um irgendein Ticket zu verkaufen. Doch die beiden spielten "Who Believes In Angels?" konsequent ein, wohl aus Spaß an der Freude. Ihnen beiden ist es wichtig, das merkt man. Sie verrichten da kein schnödes Vertragserfüllungs-Gedöns, sondern pflegen quasi ihr Baby.
Dass sie dabei durchgehend in ihrem Element schweben und sich die Songs reichlich beseelt anfühlen, das ist die eine Seite. Die Tracks belegen gut, dass Musizieren, Singen und sich ausdrücken spannende und schöne Sachen sind, die gut tun. Ein Beispiel einer Nummer, in die sich die beiden Protagonisten so richtig rein fallen lassen, um ihre Leidenschaft in einem Flow-Erlebnis auszuleben, ist "A Little Light".
Bedenklich an dieser Scheibe ist nur, wo das Publikum dabei bleibt. Denn eine unstete Dramaturgie, mehrere emotional schnell hochgepumpte und insgesamt lärmige Lieder und wenig greifbare Melodien machen es nicht einfach. Selbst mir als 'geübtem' Tester neuer Musik und ausgeprägten Sympathisanten der beiden fällt es schwer, irgendwo anzuknüpfen. Nein, das ist nicht die Platte, die ich für die Jahresrückblicke 2025 vormerke. Sondern eine kernig bis fett aufgequollene Überproduktion, die mit weniger Pomp, zum Beispiel als Unplugged/Acoustic, wesentlich mehr von ihrer geballten Kraft ausspielen könnte. Insbesondere die wilde Glamrock-Honkytonk-Fusion "The River Man" verdient, bei allem Respekt vor den Akteuren, schlicht das Prädikat Produktionspanne. Auch die schwelgerische Laut-Viel-Voll-Schrill-Ballung "A Little Light" erinnert an ein Geschäft, in dem vor lauter knallroten Sale-Schildern und Reizüberflutung, der Wald vor lauter Bäumen nicht sichtbar ist und aus dem man mit leeren Händen heraus trottet.
Selbst wenn man beim ersten Hören zurück schreckt und mit fragendem Gesicht auf den Clou wartet, reift das Album aber bei wiederholtem Hören nach. Manches wirkt ein bisschen langweilig, weil typische Harmonieverläufe des Brillensammlers doch irgendwie einander oft recht ähnlich klingen, oder weil Carlile speziell eine Countrypop-Balladen-Zielgruppe anspricht. Irgendwann weiß man dann aber die beinahe zum Durchschmoren gebrachte E-Gitarre im opulenten Intro der LP zu schätzen. Die ersten beiden Stücke "Little Richard's Bible" und "The Rose Of Laura Nyro" gehören zwingend zusammen, weil sie im Grunde das Fundament sowohl von Brandis wie auch Eltons eigener Musik feiern.
Mit Little Richard wuchs Elton John auf, und während Eltons langer Abschiedstournee verstarb der Pionier. Seine Energie überträgt sich ganz gut weiter in den anschließenden Retro-80er-Stadionrocker "Swing For The Fences" in Rolling Stones-Stil. (Oops, ein Stones-Producer saß an den Reglern.)
Laura Nyro war Eltons Generation, gleicher Jahrgang. Er erinnert im Songtext an ihren legendären Monterey-Auftritt, und Brandi stimmt mit ein. Sie bringt den Central Park in New York als Schauplatz ein. Im Unterschied zu der im aktuellen Dylan-Film als berechnend porträtierten Joan Baez stand ihr ebenso ätherisches Pendant Laura äußerst ungern im Bühnenlicht. Statt anderer Leute Songs groß zu machen, belieferte Laura Nyro als Autorin erfolgreich Kolleg:innen. Grenzen zwischen Soul, Folk, Klassik, afroamerikanischer und weißer, E- und U-Musik waren ihr völlig egal, das Format Single auch. Da ist sie bei ihrem Fan Elton an der richtigen Adresse, außerdem verbindet beide ein ähnlich weicher rhythmischer Umgang mit den schwarz-weißen Tasten. An ihre literarische Figur Eli erinnert Elton im Liedtext: "Eli's coming". Ungefähr so hoch wie Brandi in "Never Too Late" trällert, so pflegte Nyro es gern zu tun.
Doch für seine hyper-erfolgreiche "Duets"-CD Anfang der 1990er, da verpasste Elton die Laura leider. Little Richard gewann er dafür tatsächlich. Sie machten einen gemeinsamen Song damals, auf dem Album, das dank dem Hit mit George Michael in die Geschichte einging.
Letztlich ist das Stochern in den Annalen der Rockmusik der beste und entscheidende Part an "Who Believes In Angels?" Die beiden Nummern am Anfang treffen vor allem lyrisch gut, wie Mister Rocketman musikalisch sozialisiert wurde, und auch klanglich steckt hier das beste drin. "Someone To Belong To" ist indes ein nettes, warmes Fußwärmer-Stück für den Kaminabend, farblos, aber für AOR-Classic Rock-Kreise solide Unterhaltung. Über die beiden eingangs genannten Solo-Darbietungen kann man nicht meckern, sie überraschen aber kein Fünklein. "When This Old World Is Done With Me" interpoliert sein eigenes "I Guess That's Why They Call It The Blues" ein bisschen, abgewandelt, doch ähnlich. Das Stück hört sich wie ein Abschied an. Man könnte meinen, der bunteste Hund des Showgeschäfts singe hier leise Adieu.
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