laut.de-Kritik

Promi-Kollabos statt Binge-Watching und Spieleabende.

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Wie für viele andere auch war Elton Johns Lockdown-Zeit unspektakulär und perspektivlos. Von der Idee einer möglichen Corona-Platte distanzierte sich der Brite dennoch immer wieder, und so vergingen Monate des Nichtstuns. Irgendwann kam aber der Moment, in dem auch John genug vom Alltag, bestehend aus Binge-Watching, Musikhören und familiären "Snakes & Ladders"-Turnieren, hatte. Den Vollblutmusiker juckte es wieder in den Fingern.

Was mit einigen wenigen Kollabos begann, entwickelte sich unter dem Namen "The Lockdown Sessions" dann schnell zu einem großen Gemeinschaftsprojekt mit einem genresprengenden All-Star-Ensemble junger, aufstrebender und bekannter Künstler*innen von Rina Sawayama über Stevie Wonder bis hin zu Lil Nas X, Stevie Nicks und Eddie Vedder. Und genauso divers wie die musikalischen Features gestalteten sich auch die Aufnahmebedingungen: mal per Zoom, mal vor Ort, mal unter strengen Sicherheitsvorkehrungen, mal nur mit einer Glasscheibe getrennt. John verwandelte seinen eintönigen Alltag im Handumdrehen in ein facettenreiches und soziales Get-Together mit zahlreichen Ideen.

Der funkige Disco-Opener "Cold Heart - PNAU Remix" mit Dua Lipa und den australischen Electropop-Hitgaranten PNAU verhalf dem Klaviervirtuosen dabei sogar noch zu einem Erfolg, den er zuletzt vor 16 Jahren verbuchte: Platz eins der britischen Charts. Musikalisch ist das Mashup der Klassiker "Rocket Man", "Where's The Shoorah?", "Kiss The Bride" und "Sacrifice" hingegen eher ein kurzweiliger, wenig anspruchsvoller und leicht zugänglicher Hörspaß für Zwischendurch. Merkmale, die sich ebenfalls auf den Großteil der Platte übertragen lassen.

Über 16 Tracks hinweg produzieren John und Co. dutzende Songs im musikalischen Mittelfeld, aber auch eine Handvoll wirklicher Highlights und zum Glück nur wenige Ausrutscher. Lediglich "Orbit" mit SG Lewis und "It's A Sin - Global Reach Mix" mit Olly Alexanders Soloprojekt Years & Years machen den Eindruck, als kämen sie aus den dunkelsten und ohrenbetäubendsten Ecken der Electro-Dance- und House-Abteilungen vergangener Jahrzehnte. Gerade bei Letzterem ist das besonders schade, da das Cover der Pet Shop Boys-Nummer von 1987 und die Spenden aus den Einnahmen des Tracks an Johns AIDS-Foundation einen schöneren Rahmen verdient hätte.

Mit "Learn To Fly" liefert die Pop-Ikone in Gegenwart des texanischen Duos Surfaces hingegen ein überraschend zurückhaltendes Highlight, das sich auch neben bombastischen Höhepunkten wie der bereits auf "The Metallica Blacklist" erschienenen Neuauflage von "Nothing Else Matters" mit Miley Cyrus, WATT, Yo-Yo Ma, Robert Trujillo und Chad Smith sowie dem Stevie Nicks-Duett "Stolen Car" keinesfalls verstecken muss. Die verspielte und träumerische Mischung aus R'n'B, Jazz und Pop kreiert mit einem bouncenden Rhodes, wunderschönen Harmoniegesängen und einem zuckersüßen Glockenspiel ein beflügelndes Hörerlebnis, das mit jedem Durchgang nur noch mehr Freude weckt.

Auf der Power-Ballade "After All" sorgt John zusammen mit Charlie Puth wiederum nicht nur für ordentlich Gänsehaut, sondern rückt diesen einmal mehr als einen der vielversprechendsten und talentiertesten Sänger, Songwriter und Produzenten der Mainstream-Popwelt in den Fokus. Dabei baut sich das Stück Schritt für Schritt immer weiter auf, bis es in einem finalen Harmonieduett kulminiert, das seinesgleichen sucht. Genauso emotional und umso gesellschaftlich relevanter widmen John und Rina Sawayama mit "Chosen Family" der LGBTQIA+-Community eine ganze besondere Hymne: "Hand me a pen and I'll rewrite the pain / When you're ready, we'll turn the page together / Open a bottle, it's time we celebrate / Who you were, who you are / We're one and the same".

Im Gegensatz dazu gelingt es der Mehrheit der Tracks auf "The Lockdown Sessions" trotz grandioser Besetzung aber nicht, sich nach vielversprechenden Starts zu etwas Besonderem, Langlebigem und Emotionalem hin zu entwickeln, das über mittelmäßige Songs hinausgeht. Meist beruht dieser Umstand auf der relativ langen Spielzeit vieler Songs. Stellvertretend für dieses Problem steht das Gorillaz- und 6LACK-Feature "The Pink Phantom", das anfangs noch atmosphärisch überzeugt, sich in der Folge aber nur schwer über die Ziellinie schleppt.

So ergibt sich auch aus ähnlich schwächelnden Songs wie den Country-Ablegern "I'm Not Gonna Miss You" mit Glen Campbell und "Simple Things" mit Brandi Carlile, der Pop-Rap-Kollaboration "Always Love You" mit Young Thug und Nicki Minaj oder der EDM-Kollabo "Beauty In The Bones" mit Jimmie Allen eine bunte Menge kurzweiliger Filler, die streckenweise Spaß machen, aber keinesfalls zu den besten Arbeiten Elton Johns zählen.

Den Briten dürfte dieser Umstand kaum stören. Für ihn zählte hauptsächlich die Euphorie, die gemeinschaftlich kreatives Schaffen erzeugt. Er selbst sagte, dass er sich durch die Arbeit an "The Lockdown Sessions" in seine Zeit als Sessionmusiker in den späten 60ern und den damit verbundenen Spaß zurückversetzen konnte. Diese Freude an musikalischer Zusammenarbeit merkt man allen Beteiligten definitiv an. In einer tristen Zeit von Isolation und Langeweile ist dieses Gefühl des Zusammenseins am Ende mehr wert als alles andere.

Trackliste

  1. 1. Cold Heart - PNAU Remix
  2. 2. Always Love You
  3. 3. Learn To Fly
  4. 4. After All
  5. 5. Chosen Family
  6. 6. The Pink Phantom
  7. 7. It's A Sin - Global Reach Mix
  8. 8. Nothing Else Matters
  9. 9. Orbit
  10. 10. Simple Things
  11. 11. Beauty In The Bones
  12. 12. One Of Me
  13. 13. E-Ticket
  14. 14. Finish Line
  15. 15. Stolen Car
  16. 16. I'm Not Gonna Miss You

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