laut.de-Kritik
Selten war Pop so ehrlich, verletzlich und groß.
Review von Emil Dröll"Er ist der Bruder, den ich nie hatte. Der beste Freund, den man sich vorstellen kann". So sprach Elton John einst über Bernie Taupin. Und genau diese Freundschaft ist das Herz von "Captain Fantastic And The Brown Dirt Cowboy".
Fünfzig Jahre später erinnert uns die Jubiläumsausgabe daran, wie selten Popmusik so ehrlich, so verletzlich und zugleich so verdammt groß war. 1975 ist Glam noch nicht tot, Punk klopft schon an die Tür. Elton John steht zwischen zwei Welten, trägt Glitzer und Zweifel gleichzeitig. Und statt den nächsten Chart-Hit zu liefern, schaut er zurück: auf sich, auf Taupin, auf den steinigen Weg zum Ruhm. Ein autobiografisches Konzeptalbum, aber ohne Eitelkeit, ohne Maske.
Der Brown Dirt Cowboy schrieb, Captain Fantastic performte – und es knallt noch immer. Der Titeltrack rollt los wie ein Selbstporträt in Cinemascope, voller Stolz und Sehnsucht. "Tower Of Babel" bremst kurz, klingt aber wie der moralische Kater nach der ersten großen Nacht. "Bitter Fingers" wiederum: der Sound von Frust, verarbeitet in reiner Melodie. Johns Klavier gleitet, die Band atmet, das alles wirkt so organisch, als wäre der Song nie geschrieben worden, sondern einfach passiert.
Dann kommt "Someone Saved My Life Tonight" – das Herzstück, die Beichte, der Befreiungsschlag. Fast sieben Minuten lang hält die Welt den Atem an. Ein Song, geboren aus Johns dunklen Momenten – der gescheiterten Verlobung, dem Selbstmordversuch – und dennoch leuchtet er heller als alles davor: Das Schlagzeug schleppt sich schwer, das Piano glüht, und Captain Fantastic singt, als ginge es wirklich ums Überleben. Wenn Musik ehrlich sein will, dann so.
"(Gotta Get A) Meal Ticket" bringt die Erdung zurück, dreckig, schnaufend, lebendig. "Better Off Dead" ist kurz und scharf wie ein Kommentar am falschen Tag. "We All Fall In Love Sometimes" schwebt auf leisen Akkorden, "Curtains" zieht den Vorhang zu, aber so, dass man trotzdem sitzen bleibt.
Später kamen dann noch vier Songs hinzu, die das Album erweitern, ohne das Original zu entwerten: "Lucy In The Sky With Diamonds" ist ein eigenes Abenteuer, das sich erstaunlich harmonisch anschmiegt. "One Day At A Time" trägt die unverkennbare Handschrift von John Lennon, leicht verspielt, aber mit Tiefgang. "Philadelphia Freedom" sprüht vor Euphorie, während "House Of Cards" die nötige Portion Leichtigkeit zum Abschluss liefert.
Die 50th Anniversary Edition hört damit aber noch lange nicht auf. Session-Demos, Takes und Live-Auftritte von 2005. Die Demos klingen intim, roh, fast so, als hätte Elton John nur für sich selbst gespielt. Die Stimme verschwindet manchmal hinter den Instrumenten, und genau das macht den Charme aus. "Captain Fantastic – Take 1 / Session Demo" wirkt fast wie ein Instrumental, Take 2 bringt schon die Power des Originals, "Writing – Session Demo" glänzt durch Perkussion, "Bitter Fingers (Session Demo)" ist nur ein kurzes Pianosolo, in der Live-Version von 2005 aber arrangiert und dynamisch. Live-Höhepunkte sind "Tell Me When The Whistle Blows" und "Better Off Dead", die auf der Bühne noch einmal richtig aufblühen.
Und dazwischen: Bernie Taupin. Oft im Schatten, hier aber deutlich zu spüren. Die Texte sind nicht nur Poesie, sie sind Zeugnis. Er schreibt nicht über Liebe, sondern über das, was sie kostet. Er dichtet nicht über Ruhm, sondern über das, was man dafür verliert. In diesen Zeilen steckt mehr Wahrheit als in mancher Biografie.
Die 50th Anniversary Edition lässt all das noch einmal glänzen. Das Remastering ist feinfühlig: kein greller Glanz, kein Plastik, nur mehr Luft, mehr Raum, mehr Bühne. Das Piano klingt klarer, die Stimme wie frisch aus dem Mikro der Siebziger, nur näher, intimer. Man hört wieder, warum Gus Dudgeon als Produzent Legendenstatus hat: Er ließ die Songs atmen, statt sie zu polieren.
Insgesamt? Kein überproduziertes Pflichtgeschenk, sondern ein würdiges Jubiläumswerk, eine liebevolle Erinnerung an ein Album, das vor fünfzig Jahren schon ein Must-Have war und es heute erst recht wieder ist. Es ist ein Stück Freundschaft, ein Selbstporträt ohne Filter und der Beweis, dass Musik größer sein kann als der Moment, in dem sie entsteht.
Ein Album über Aufbruch, das 50 Jahre später immer noch bei uns ankommt.


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