laut.de-Kritik
Acid-Jazz lebt.
Review von Philipp KauseFans von Georgia Anne Muldrow und den Brand New Heavies, aufgepasst! Die Wahl-Londonerin Emma-Jean Thackray geht ihren Genre-crossing Neo-Soul nach ihrem Debüt "Yellow" abermals von der jazzigen Seite und mit typischer Themse-Prägung an. Während sie gleichmäßig pulsierenden, gelassenen Sound aufnimmt, verarbeitet sie innere Turbulenzen. Das mantraartig wiederholte "stay with me / stay / don't leave me this way / stay" und "please let me stay" in den Tracks "Stay" und "Let Me Sleep" zeichnet den Abschied von ihrem langjährigen Partner nach, der im Januar 2023 starb. Leben und Tod bestimmen die Linie durch viele Tracks, etwa "I Don't Recognise My Hands".
Lustige und entspannende Komponenten bietet die Platte gleichwohl, etwa wenn sich die 36-Jährige frittierten Reis zum Tofu wünscht ("Fried Rice", "Tofu") oder mit Breakbeat-Schwung bekennt, sie wolle ewig leben ("Wanna Die"). Dass sie hier das eingeschlafene Mikrogenre 2-Step wiederbelebt und mit verschobenen Taktmaßen modifiziert, lässt Gilles Peterson zum Glück geschehen. Peterson ist hier eine Art britisches Äquivalent für Jazzanova bei uns, setzt sich seit langem für offene Jazz-Ohren ein, die elektronische Spielarten, insbesondere Trip Hop/Drum'n'Bass, Latin-Rhythmen sowie Soul-Subgenres als treibende Impulse für Jazz-Innovationen akzeptieren und willkommen heißen.
Dafür hat er nicht nur Radio-Shows und DJ-Slots, sondern seit knapp 20 Jahren sein eigenes Label Brownswood, wo es mit Kokoroko schon einen Act aus der Afrofunk-Szene gibt. Bluesiger Afrofunk untermauert übrigens "Save Me" bei Emma-Jean. Mit Kassa Overall wagt die singende Thackray den Sprung in Spoken Word und UK-Hip Hop, umhüllt von verträumten, schillernden, blühenden Klangmustern ("It's Okay ft. Kassa Overall"). In "Remedy" schiebt sie ihren Gesangsstil über einer sehr smarten Bassline selbstsicher Richtung MC und fordert ein Heilmittel für ihre Seele ein, etwas das ihr Energie gibt und ihr ermöglicht, zu fliegen.
Flugfähigkeit würde man der Trompeterin, Hornistin, Organistin, Gitarristin, Komponistin, Texterin und Produzentin gerade auch noch zutrauen. Besondere Highlights der Platte sind die treibenden Stücke, in denen mal eben alles Wesentliche der 90er-Acidjazz-Welle vor dem geistigen Auge und Ohr vorüber zieht, sowohl von der Hardbop- als auch von der Dance-Seite jener Strömung aufgezogen: "What Is The Point", "Black Hole ft. Reggie Watts", "Starting At The Wall" und das massive, stürmische "Thank You For The Day" heißen diese gelungenen Retro-Tunes.
Innovativ gestaltet sich die Platte kaum, sie bietet aber eine unterhaltsame Stunde mit viel Rhythmus-Feeling und Flexibilität für eine Hörsituation an Wochenenden oder Feiertagen, dafür einen weltoffenen Soundtrack mit eingängigen und versponnenen Strecken und großartigen Bläsersätzen.
1 Kommentar
Irgendwie ist das so ein klassisches "Die Ente bleibt draußen!"-Cover. Mal reinhören ...
Gruß
Skywise